piwik no script img

Laurie Anderson & Lou Reed auf TourHänsel und Gretel sind wohlauf

Bei ihrem einzigen Deutschlandkonzert in Frankfurt präsentieren sich Laurie Anderson und Lou Reed mit zeitgenössischem Sound.

Lou Reed und Laurie Anderson stimmen sich auf einen "intimen Abend über die Liebe und ihre verschiedenen Facetten" ein. Bild: dpa

Im Zuge der Musealisierung und Verklassikerung von Pop - und auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen - hat es sich eingebürgert, dass Bands mit einem präzise angekündigten Kanon ihres Gesamtwerks auf Tour gehen oder gleich ihr Opus Magnum in voller Länge zur Aufführung bringen. Dieser Trend macht auch vor Velvet-Underground-geprägten Acts nicht Halt: Die Pixies performen "Doolittle", Sonic Youth geben "Daydream Nation", selbst die Feelies kommen zurück mit "Crazy Rhythms". Patti Smith wurde neulich in der Jahrhunderthalle gefeiert für ein Konzert mit Greatest Hits & Großen Gesten (Tibet, Iran). Das Ehepaar Anderson & Reed kommt mit der Tour "The Yellow Pony and Other Songs and Stories".

Es gibt kein Album zur Tour, der Veranstalter verspricht einen "intimen Abend über die Liebe und ihre verschiedenen Facetten". Trotzdem kommen über 2.000 Leute, die nicht wissen, was passiert, die meisten grau. Eine unsichtbare Stimme bittet die sehr verehrten Damen und Herren, keine Fotos zu machen und die Handys auszuschalten.

Anderson trägt weites Karohemd über Jeans, Reed schwarzes Schlabber-Muscle-Shirt über Jeans. Sie steht mit Geige am Keyboard, er sitzt auf einem Schreibtischstuhl mit Rollen. Zwischen den beiden zierlichen Ü-60ern berserkt ein hünenhafter Aphex-Twin-Lookalike zwischen zwei Bildschirmen. Er heißt Sarth Calhoun und ist zuständig für Electronics. Steht im Programmheft. In Kleinstschrift sind die Texte aller Songs abgedruckt, die in den zwei Stunden gespielt werden. Kein "O Superman", kein "Walk on the Wild Side". Nach einem Instrumental, das angenehm laut das wiedererwachte Interesse an Reeds Metal-Machine-Krachphase spiegelt, erhebt Laurie Anderson ihre sich immer über sich selbst zu wundern scheinende Stimme: "Hänsel und Gretel sind wohlauf. Sie ist Kellnerin und er hat eine Rolle in einem Fassbinder-Film." Auf Deutsch. Als dann "Schnaps und Gin" getrunken werden in diesem Lied, hat die Reed-Fraktion ihre Skepsis gegen diese Künstlerinnentype aufgegeben. Den gebildeten Ständen fällt auf, dass die Zeile von der Geschichte, die ein Engel aus der Zukunft ist, mit Walter Benjamin zu tun hat. Hausaufgaben gemacht fürs einzige Konzert in Deutschland. Hänsel hat sein Leben vergeudet in diesem blöden Märchen, seine einzige wahre Liebe war die böse Hexe. Mit dieser Vorstellungsrunde wird klar, dass Anderson nicht das arty Alibi-Ornament für den rockenden Reed geben wird, dass sie nicht Gretel ist, sondern Lous Hexe. Wie einst bei John & Yoko. Mit dieser Chuzpe wagt sich die Hexe gleich an einen der zwanzig größten Lovesongs, die ein Mensch je schrieb. "Sometimes I feel so happy, sometimes I feel so sad / Sometimes I feel so happy, but mostly you just make me mad". Sakrileg. Laurie Anderson singt "Pale Blue Eyes", Lous Liebeserklärung an - mutmaßlich - Nico, die teutonische Hexen-Beauty von Velvet Underground. Lou schweigt, lässt die Gitarre reden. Man könnte ein Fotohandy-Klicken hören, aber es klickt keiner. Die Magie des John-&-Yoko-Moments endet jäh, als Lou dann doch singt, "Linger on, your pale blue eyes".

Die gläserne Schärfe ist raus aus der Stimme, das Unnahbare verschwunden, brüchig ist sie, Lou gibt sich Mühe. Warum sitzt er seitlich zur Bühne? Schaut durch die dicken Gläser nie ins Publikum. Lässt sich Gitarren reichen. Rollt auf seinem Stuhl aus dem Spotlight, wenn Laurie singt. Liest seinen Text vom Teleprompter. Von den herrischen Gesten des Bühnen-Egomanen ist nur noch ein knappes Abwinken übrig, wenn der Electronic-Schrat das Berserken übertreibt. Dass man von Lou Reed mal gerührt ist?

Aber auch beglückt vom Sound, Metalmaschine im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit, glasklar, kein bräsiger Rock, entschieden unnostalgisch, gegenwartshaltig, vor allem wenn Laurie Andersons Stimme ins Spiel kommt. Die jagt sie durch Effektgeräte, mal spricht sie wie ein alter Mann, mal wie ein Anderson-Chor und immer wieder mit dem sonderbaren V-Effekt aus ihrem "Superman"-Hit, Telefonstimme aus dem Jenseits. Der Effekt verkommt nicht zum Gimmick, er gibt der Stimme einen technoiden Sex-Appeal wie der allgegenwärtige Autotune-Effekt im zeitgenössischen R & B.

Das gipfelt in einem epischen Technotrack mit dylanöser Textmenge, zu dem Lou - Gipfel der motorischen Ekstase - den Rhythmus mitstampft. Zum Schluss nimmt Laurie noch mal das Hänsel-&-Gretel-Motiv auf: "She pretends shes a movie star / He pretends hes a king." Damit endet der Zyklus. Manche haben feuchte Augen. Zur Zugabe kommt Lou Reed mit unsicheren Schritten zurück, setzt sich auf den orthopädischen Stuhl und singt einen der zwanzig größten Lovesongs, die ein Mensch je schrieb: "Ill be your mirror, reflect what you are?", das er einst Nico in den Mund legte. Laurie übernimmt, sie spiegeln sich gemeinsam. Licht an, Tränen trocknen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • MW
    Matthias Weiß

    Bestens getroffen, spiegelt meinen Eindruck vom Gig (im Unterschied zu FAZ oder der eher verhaltenen Spalte in der SZ).