: Laufsteg der Abziehbilder
„Lulu“ heute? Am Schauspielhaus Bochum scheitern der Popjournalist Moritz von Uslar und die Regisseurin Christina Paulhofer kläglich an einer Aktualisierung von Frank Wedekinds Tragödie
VON ALEXANDER HAAS
Moritz von Uslar betritt die Bühne als Figur in seinem eigenen Stück. Von Uslar, Pop- und Klatschjournalist für das Magazin der Süddeutschen Zeitung, bekannt vor allem mit der „100 Fragen“-Interviewserie, hat sich in seine Bearbeitung von Wedekinds „Lulu“-Tragödie als kleiner, unschuldiger Volontär hineingeschrieben. Im Stück arbeitet er für die „Sonntagszeitung“ und will Lulu gegen Ende des Dramas „exakt hundert Fragen“ stellen. Er sieht sich also als den Beobachter, der wissen will, was es mit diesem Stück über die lustmordende Frau in einer Welt der Männer heute auf sich hat.
Zu Wedekinds Zeit provozierte das Stück noch Skandal und Zensur. Die interpretierende Welt der Männer fand lange, Lulu, dieser „Dämon des weiblichen Geschlechtstriebs“, stürze ihre arme Gattung ins Verderben: Die kennt ja keine Moral. Heute ist das anders. Dass die Männer und Frauen des Stücks alle „von ihr geliebt und gefickt werden wollen, ist nicht das Entscheidende, nicht das Große, nicht (mehr) das Außergewöhnliche an der Figur Lulu“, schreiben Dramaturg Martin Fendrich und Regisseurin Christina Paulhofer im Programmheft.
Anders als Wedekind geht es von Uslar und Paulhofer nicht mehr um Kritik an männlich-bürgerlicher Doppelmoral mittels eines allerdings virilen Phantasmas vom männermordenden Vamp. Lulu steht bei ihnen für die ewige Suche nach Liebe: „Liebe suchen – lieben – enttäuscht werden – verzweifeln –von neuem suchen.“ Das allerdings gab es auch bei Wedekind.
Trotzdem hätte sich die neu akzentuierte Fragestellung lohnen können: Was ist los mit der Liebe in unseren Hochgeschwindigkeitszeiten? Hat sie hier noch Platz? Können oder wollen zwei Menschen noch zusammenkommen, vielleicht auch bleiben – neben all den Jobs, den Bildern, den Kapital- und Digitalströmen, der ganzen Hektik? „Sex is over“, steht bei von Uslar, aber Liebe eben nicht. So der Anspruch.
Lulu ist bei von Uslar Model. Seine Fassung spielt in der Welt von Koks und Laufsteg. Der Maler Schwarz wird zum Videoregisseur Schwarz, Chefredakteur Dr. Schöning bleibt Chefredeakteur Dr. Schöning. Aus der alten Wedekind-Welt geistert nur Margit Carstensens lesbische Gräfin Geschwitz durch die Szene und sagt den Zeitgenössischen, warum ihr Gefühlsleben so verdammt falsch läuft: „Weil ihr nichts hergeben wollt von euch! Dabei ist es Zeit etwas herzugeben!“ Ansonsten hält sich von Uslar an Wedekinds Plot und schickt Lulu auf ihren Weg, allerdings ohne den gesellschaftlichen Auf- und Abstiegsbogen des Originals. Lulu soll hier straight durch die Hölle ihrer eigenen Maximalansprüche gehen.
Doch was nützen alle schön gedachten Programme, wenn man über die Inszenierung abgestandener Klischees nicht hinauskommt? Alle wichtigen Fragen zu den selbst gestellten Themen Sexualität, Liebe und dem Verhältnis zwischen Männern und Frauen heute gehen unter in einer spannungslos aneinander gereihten Bilderfolge. Auch von Uslars Text bleibt lückenhaft und inkonsistent. Die wirklich interessanten Momente kann er lediglich in Lulus fiebrigen Monologen der Rastlosigkeit konzentrieren. Der Rest erscheint vor allem in der hohlen Aufmachung von Christina Paulhofers Regie als hilflos plattes Aktualisierungsgeplänkel: etwa die Figur des „Modelfickers“ Flavio Briatore, sonst bekannt aus medialen Heidi-Klum- und Formel 1-Dunstkreisen; oder Lulus Gegenspielerinnen im „internationalen Lesbenchor “, der mit fetten Sprüchen offensichtlich als Sprachrohr des pseudoprogressiven, medialen Mainstream-Frauenbilds dienen soll („We know you wanna fuck us, but you don’t deserve it“). Aber auch Lulus Monologe hängen nur in der Luft, weil der Abend keinerlei dramaturgischen Bogen besitzt.
Mavie Hörbiger spielt die Bochumer Lulu. Das mag passen, weil Hörbiger als junger Filmstar biografisch dem medial geprägten Sujet der Inszenierung entspricht. Gleichzeitig scheint die Äußerlichkeit dieser Parallele unglücklich auf ihr Spiel abzufärben: Sie überzeugt an diesem Abend vielleicht mehr, weil sie eine besondere Erscheinung ist, weniger aufgrund vielschichtigen schauspielerischen Könnens. So überwiegt die Abziehbildästhetik der Inszenierung leider auch in dieser Hinsicht.