: „Lassen Sie ab von diesem radikalen Kurs!“
Der Brandbrief an den Geschäftsführer der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH), Christian Wegner, zeigt, wie Pressehäuser heute ticken. Zum Schaden von Beschäftigten, LeserInnen – und einer demokratischen Gesellschaft. Kontext veröffentlicht ihn in vollem Umfang, auch seines exemplarischen Charakters wegen.
Sehr geehrter Herr Dr. Christian Wegner,
wir sind schockiert. Uns treibt die tiefe Sorge um, dass der Abbau von 55 Stellen und das neue verlegerische sowie redaktionelle Konzept unsere Zeitungen und Online-Angebote so beschädigen, dass sie weder wirtschaftlich eine Zukunft haben noch ihren politisch-gesellschaftlichen Auftrag erfüllen können. In vielen Runden wurden wir aufgefordert, unsere Meinung zu sagen. Dabei bekamen wir den Eindruck: Man nimmt unsere Fragen und unsere Kritik nicht ernst. Deshalb melden wir uns nun mit diesem Schreiben direkt bei Ihnen als Gesellschafter/in der SWMH zu Wort und bitten um Ihr Gehör. Wir haben dabei alle Gesellschafter/innen angeschrieben, deren Adressen wir bekommen konnten.
Der Kahlschlag
Zum wiederholten Male binnen kurzer Zeit werden unsere Zeitungen und die Redaktionen umgestaltet. Und wieder geht das einher mit dem Abbau von Stellen. Wir sind überzeugt, Synergien zu maximieren und die Kosten zu senken, mindert den Mehrwert der Inhalte. So zerstört man das eigene Geschäftsmodell.
Warum soll die Nutzerin/der Nutzer für Inhalt bezahlen, der keinen Mehrwert für ihn/sie hat? Und mit 55 Stellen weniger wird man weniger Inhalte erstellen können, weniger Zeit für Recherche haben, sei es am Telefon oder draußen, man wird noch weniger präsent sein in der Stadt und der Region, bei unseren Leserinnen und Lesern. Die Wertschätzung für unsere Arbeit scheint nicht sehr hoch zu sein, wenn man bedenkt, dass Kollegen und Kolleginnen in tariflosen Gesellschaften beschäftigt werden, um Personalkosten zu sparen.
Das Konzept
Bei der Präsentation des Konzepts wurde offen gesagt, dass eine weitere Reduzierung von Stellen für die Ressorts „nicht mehr zumutbar gewesen“ sei. Deshalb würden sie aufgelöst. Das ändert aber nichts am Grundsatzproblem – nämlich, dass es künftig zu wenige Redakteurinnen und Redakteure für die zu erledigende Arbeit gibt. Die Abschaffung der Ressorts halten wir für eine strukturelle und inhaltliche Katastrophe, die im redaktionellen Alltag nicht praktikabel ist und den Produktionsablauf, die Realitäten und Anforderungen für Online wie Print ignoriert. Für viele Themen wird es in der neuen Struktur keine Zuständigkeit und mittelfristig auch kein Fachwissen mehr geben, was die Qualität der Produkte weiter vermindert. Ressorts haben sich als funktionsfähige und schlagkräftige Einheiten bewährt, die mit qualifizierten MitarbeiterInnen schnell, flexibel und effizient reagieren können. Weil es dort kurze Wege gibt, sich dort viel Expertise und Kenntnisse bündeln. Wie eine andere Struktur dies leisten kann? Darauf konnten Sie bisher keine Antworten liefern. Weil es keine gibt? Lassen Sie schlagkräftige, überzeugende Argumente sprechen. Gehen Sie auf die Diskussion ein, die Sie nicht müde werden, von uns zu fordern.
Die Identität
Ganz offensichtlich gilt der Blick allein den Zahlen. Was dabei an weiteren Werten verloren geht, wird ignoriert: Verlässlichkeit nach innen und nach außen, Identität, das Gesicht und der Markenkern der Zeitungen, gewohnte und klar benannte AnsprechpartnerInnen, die Motivation und Identifikation der Belegschaft. Diese sind aber genauso wichtig für die Stabilität und den Erfolg unseres Unternehmens, ganz besonders bei den Lokalzeitungen, die einen besonders engen Draht zu den LeserInnen und MultiplikatorInnen pflegen. Die Reaktionen in der Öffentlichkeit sprechen schon jetzt für sich und lassen Schlimmstes befürchten. Das ist für das Image und die Glaubwürdigkeit aller unserer publizistischen Produkte verheerend. Ein Beispiel sind die Reaktionen in Marbach auf die Trennung vom Geschäftsführer, der über viele Jahre das Gesicht der Zeitung war.
Die Leser
Dass dieser krasse Eingriff und der Totalumbau der Zeitungen die Belegschaft verunsichert, scheint man hinzunehmen. Doch die Verunsicherung wirkt nicht nur nach innen, sondern auch nach außen. LeserInnen, BürgerInnen, EntscheiderInnen und PolitikerInnen sind irritiert, was mit den Zeitungen passiert. Die viele immer noch als ihre Zeitungen begreifen. Wer sich außerhalb der Büros des Pressehauses bewegt, weiß, dass man vielfach darauf angesprochen wird und viele Menschen ihre Sorge artikulieren. Wie ernst nehmen wir eigentlich unsere Kunden noch? Es steht außer Frage, dass man online neue LeserInnen gewinnen muss. Aber wie hilfreich ist es, dabei jene Kundinnen und Kunden zu verprellen, die immer noch viel Geld für ihre Zeitungsabonnements bezahlen und so den Löwenteil der Erlöse beisteuern – übrigens auch online über das E-Paper? Welcher ökonomische Sinn steckt dahinter, ihnen ein eiligst zusammengebautes, weniger aktuelles und dünner werdendes Blatt anzubieten? Das wird im Übrigen durchaus bemerkt: Es wird Kritik geäußert am Ausdünnen des Angebots, gerade bei Kultur und Politik, an der Fixierung auf wenige Themen, an der zunehmenden Zuspitzung und Boulevardisierung. Gerade bei den Lokalzeitungen wirkt sich eine Reduzierung des Regionalteils, insbesondere beim Lokalsport, verheerend aus. Denn der Lokalteil macht unsere Zeitungen lesens- und kaufenswert – und genau dieser Teil soll gekürzt werden? Das ist wirtschaftlich riskant und ergibt aus unserer Sicht keinen Sinn.
Die Kommunikation
Sie, die Verantwortlichen, hatten Zeit, sich Monate mit einem Konzept zu beschäftigen, das alles bisher Dagewesene – auch nach eigenem Bekunden – auf den Kopf stellt. Doch auf viele berechtigte Fragen gibt es keine Antworten. Zumeist sagten Sie, das wisse man noch nicht, das sei eine gute Frage, das müsse man noch klären, dafür seien die Arbeitsgruppen zuständig. Wir sollen also innerhalb kürzester Zeit diese nach Ihrer Aussage „historischen Umwälzungen“ hinnehmen und ein Konzept mit Leben füllen, von dem Sie keine Vorstellung haben, ob und wie es funktioniert.
Der Anspruch
Keiner von uns verweigert sich der Zukunft. Oder hat etwas dagegen, dass wir für die Webseiten Geschichten produzieren, die die Menschen lesen und für die sie bezahlen. Online und Print sind kein Gegensatz. Doch ist nicht die Ansage, wir machen vornehmlich nur noch das, was geklickt wird und Web-Abos erzeugt, ein Offenbarungseid? Und zeigt, dass wir selbst gar keine Maßstäbe mehr haben, was eine gute Zeitung ausmacht? Erfüllen wir unseren eigenen Anspruch noch, die vierte Gewalt zu sein, die Mächtigen zu kontrollieren? Wenn wir nicht mehrüber das berichten, was unser Gemeinwesen zusammenhält, nicht mehr präsent sind in den Gemeinden und Stadtbezirken, nicht mehr von den Auswirkungen der Landes- und Lokalpolitik auf das Leben der Menschen, wofür braucht es uns noch? Was unterscheidet uns von Angeboten, die vor allem auf die Quote zielen?
Die ökonomischen Auswirkungen
Uns treibt die große Sorge um, dass die Stellenstreichungen und das neue Konzept nicht nur die Arbeitsfähigkeit der Redaktion beschädigen. Sondern auch die Marken, die seit vielen Jahrzehnten für unabhängigen Journalismus stehen. Und damit letztlich auch die ökonomische Grundlage des Hauses.
Es ist uns ein großes Anliegen, an der Zukunftsperspektive unseres Hauses mitzuwirken, im Interesse und zum Wohle des Unternehmens. Aber auch zum Wohle unseres Berufes und unseres Berufstandes. Deshalb benennen wir, wie von den Verantwortlichen immer wieder eingefordert, unsere Kritik und unsere Sorgen offen und ehrlich.
Wir halten das Streichen von 55 Stellen und den Umbau der Redaktion für ungeeignet, die Zukunft zu sichern. Und wir bitten Sie in einen ehrlichen, offenen Dialog mit uns zu treten. Und vor allem fordern wir: Lassen Sie ab von diesem radikalen Kurs!
Mit freundlichen Grüßen,
227 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen