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Archiv-Artikel

Lass Sonnenschein herein

Der Musicalproduzent Wolfgang Bocksch ist wieder in der Stadt. Diesmal versucht er sein Glück, indem er das marihuanaselige Hippie-Stück „Hair“ in Szene setzt – ohne Bezüge zur Gegenwart

Ist das vor Politpathos triefende Stück heute überhaupt noch spielbar?

von AXEL SCHOCK

Mögen in Berlin die diversen Musicalproduzenten zwischenzeitlich Konkurs anmelden, die Theater geschlossen, verkauft und dann doch nur stillgelegt werden – einer versucht es immer wieder: der Mannheimer Impresario Wolfgang Bocksch. Und dabei hatte der Entertainment-Unternehmer in der Hauptstadt nicht unbedingt immer ein gutes Händchen.

Wir erinnern uns. Vor knapp einem Jahrzehnt wickelte der damalige Kultursenator Ulrich Roloff-Momin mit den Stimmen der CDU-Fraktion das Schiller Theater ab und verpachtete es an Peter Schwenkow (Concert Concept, Wintergarten, Waldbühne). Die Pacht: nur 8.000 Mark pro Jahr zuzüglich einer halben Million Mark, die in das Haus investiert werden sollten. Zwar gab es großzügigere Mitbewerber, wie etwa Wolfgang Bocksch, aber das CDU-Mitglied Schwenkow versprach selbst produzierte „Historicals“ und machte das Rennen.

Gleichwohl, von den angekündigten Uraufführungen Schwenkows war außer Klaus Hoffmanns „Brel“ nicht viel zu hören und zu sehen. Stattdessen vermietete Schwenkow gerissen das Schiller Theater einfach an Bocksch unter, der fortan gastweise amerikanische Musicals einquartierte. Schließlich warf Schwenkow im Oktober 1997 ganz das Handtuch, Bocksch übernahm kurzerhand den Vertrag, um seinerseits ein Jahr später den Nutzungsvertrag fristlos und zur Verärgerung der Kulturverwaltung aufzukündigen.

Einst hatte der Senat die Bühne an der Bismarckstraße geschlossen, um Kosten einzusparen und durch die Verpachtung vielleicht sogar Geld zu verdienen. Dieser Traum war über Nacht geplatzt. Nicht nur, dass die vertraglich festgelegten Instandhaltungs- und Ausbaumaßnahmen offensichtlich nicht stattgefunden hatten – das Haus befand sich jetzt erst recht in einem heruntergekommenen Zustand. Schwenkow hat währenddessen andere Spielplätze für seine unternehmerische Cleverness gefunden. Und auch Bocksch tauchte allenthalben wieder in der Stadt mit neuen Gastspielen auf. Mal erfolgreich mit „Grease“, mal weniger erfolgreich mit „Evita“.

Nun bespielt er erneut das Schiller Theater – als ganz gewöhnlicher Mieter. Gerade so, als habe er sich mit Berlin und der Senatsverwaltung versöhnt, schenkt er der Stadt die Gnade einer richtigen Premiere. Wenn das Publikum will, wie Wolfgang Bocksch sich das erträumt, wird seine neue Version des Hippie-Klassikers „Hair“ erst durch Deutschland und danach durch halb Europa tingeln. Dass es tatsächlich so weit kommt, ist zu bezweifeln. David Gilmore, der bereits den Rock’n’Roll-Highschool-Rummel „Grease“ auf eine dialogarme Tanzshow reduziert und damit offensichtlich den Massengeschmack getroffen hat, versucht diese minimalistische Masche nun auch auf den Hippie-Klassiker „Hair“ zu übertragen.

Bocksch gastiert im Schiller Theater, als gäbe es keine Vorgeschichte

Eigentlich hätte der Broadway-Veteran Barry Arnold den Brückenschlag von den Blumenkindern von damals zu den Globalisierungsgegnern von heute schlagen sollen. Doch dessen Konzept ging offenbar nicht auf. Wenige Wochen vor der Premiere übernahm Gilmore. Das Plakatmotiv zielt noch auf die alte Inszenierungsidee. Zu sehen ist ein trendiger junger Mensch mit einer Blümchenwiesen-Frisur. Love Parade statt Woodstock? Man wird es nie erfahren.

Im Stück David Gilmores nun dient eine Art Baugerüst als Spielfläche und Laufsteg, viel mehr ist auf der kargen Bühne nicht zu sehen. Auf eine Leinwand werden Bilder von Mutter Erde, Martin Luther King, vom Vietnamkrieg und – wie lustig – von langhaarigen Menschen projiziert. Das komplett in New York gecastete Ensemble trägt ebenjene Fransenjacken, Stickhemden und Wickelröcke, wie man sie auf den historischen Fotos auf der Leinwand sieht. Viel mehr als Verkleidung ist nicht zu erkennen. Das viel beschworene Lebensgefühl ist bloße Behauptung. Zu spüren ist es nicht. Wie auch? Das knappe Dutzend Hits wird fleißig heruntergesungen und getanzt (Choreografie: Melissa Williams und Carla Kama) – von „Hair“ ist hier lediglich eine Musikshow mit ein paar überleitenden Dialogfetzen übrig geblieben.

Aber wäre das vor Politpathos triefende Originalstück heute überhaupt noch spielbar? Eins steht fest: Eine griffige Idee, was dem Neuem entgegenzusetzen wäre, hatte man im Hause Bocksch jedenfalls nicht. „Die junge Generation von heute steht vor ähnlichen elementaren Fragen wie wir damals“, erklärte Bocksch im Vorfeld sein Interesse an einer Neuinterpretation von „Hair“. Auf der Bühne zu sehen ist davon nichts. Doch, halt: Beim Zugaben-Medley taucht in der Diashow einmal kurz etwas auf, das Bush und Rumsfeld darstellen könnte. Aber das hätte man wirklich auch übersehen können.

Bis 6. 7. und wieder im September im Schiller Theater, Bismarckstraße 110, Charlottenburg