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Langer Atem

■ Film des Monats im Metropolis: Aleksandr Sokurovs „Verborgene Seiten“

Unendlich langsam gleitet der Blick der Kamera an der maroden Fassade eines Industriebauwerkes herab, Nebelschwaden ziehen ins Bild, Möwen scheinen sich in eine apokalyptische Gegend verflogen zu haben. So beginnt der Film Verborgene Seiten des russischen Regisseurs Aleksandr Sokurov, der mit Mitteln des Hamburger Filmbüros in Hamburg und St. Petersburg gedreht wurde.

Inspiriert von Prosawerken des 19. Jahrhunderts reißt Sokurov in seinen eindrucksvollen, zum Teil surrealen Bildern eine kurze Geschichte über Schuld und Sühne, Verbrechen und Reinheit, Bürokratie und Individuum an. Meist in Untersicht hält er die kalte, unwirtliche Welt der Armen fest, die durch monumentale, aber brüchige Bauwerke hetzen. Hat der abgerissene Held eine alte raffgierige Geldverleiherin ermordet? Wer weiß? Wärme findet er kaum bei der verschlossenen jungen Frau, die gebeugten Hauptes durch ihre armselige Stube geht. Und mit einem paragraphentreuen Bürokraten zu argumentieren, was soll's? Nah an die Personen wagt sich Sokurovs Blick, der so sehr an Tarkowskij erinnert.

„Der Russe hat nichts zum Verteilen – er hatte nie etwas, und er wird auch nichts haben. Der Russe ist arm – Finanzielles bewahrt er in einem löchrigen Sieb auf. Materiell lebten die Russen immer von einem Tag auf den anderen – das war ihre Krämerseele. Die Seele aber suchte im transparenten, schwerelosen Himmel nach einem ewigen Halt“, sagt Sokurov, der die Frage nach diesem Halt nicht beantwortet, sie aber in die Köpfe der Zuschauer pflanzt.

Tief durchatmen sollte man, bevor man sich auf die alptraumhaften Bilderwelten einläßt und eintaucht in eine hoffnungslose, versunkene Welt, in der nur selten die verirrten Möwen und sachte Lichtstrahlen auf dunklen Flüssen noch Spuren von Hoffnung ahnen lassen. jkn

6., 8., 9., 12. und 16. Oktober, Metropolis

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