piwik no script img

Landwirtschaft in NiedersachsenDer Lobbyist der Kleinbauern

Eckehard Niemann setzt sich gegen riesige Hühnermasthallen ein. Die Forderung: Ein Verbot gegen eine Haltung, in der Tiere zu sehr leiden. Eine Freilandhaltung verlangt er nicht.

Der Streithahn: Niemann vor einem Wiesenhof-Doppelmaststall. Bild: Johan Kornder

Mit einem Ast stochert Eckehard Niemann in der Hühnerkacke. Der süßliche Dampf beißt in der Nase. Der Haufen stinkt Niemann. Der Hühner-Trockenkot, HTK abgekürzt, liegt wenige Schritte von einem Wiesenhof-Mastbetrieb entfernt auf einem geernteten Maisfeld.

Niemann – weißer Nikolausbart, runder Nikolausbauch – schüttelt angewidert den Kopf, wirft den Stecken auf den Acker, blickt zum Stall, schüttelt wieder den Kopf, schüttelt den ganzen Körper, wie ein Hund nach dem Baden. Doch die Gedanken lassen sich nicht abschütteln, er denkt sie seit über 30 Jahren, seit er in Göttingen Agrarökonomie studierte.

Er dachte sie als Landwirtschaftslehrer in Hamburg, auch in seiner Zeit als Referent für ökologische Landwirtschaft im Hamburger Umwelt- und Wirtschaftsministerium. Er will Bauernhöfe statt Agrarfabriken.

Auch den Gestank wird Niemann nicht los. Denn seine Heimat ist auch die Heimat der Hühner. Über 30 Millionen Mastplätze gibt es in Niedersachsen. Die Hälfte aller deutschen Hühnchen frisst sich hier fett. Als wäre das nicht genug, hat die Firma Rothkötter in Wietze einen neuen Schlachthof gebaut, subventioniert mit 6,5 Millionen Euro. Bei voller Auslastung können in der Anlage 27.000 Hühner verarbeitet werden. Pro Stunde.

Bild: taz

Diese und andere Geschichten lesen Sie in der sonntaz vom 7./8.1. – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk oder am eKiosk auf taz.de. Die sonntaz kommt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.

Bis zu 135 Millionen Tiere könnten hier pro Jahr getötet werden. 40.000 Hähnchen fasst eine typische Mastanlage, 400 davon wären nötig, um die Schlachtanlage zu füllen. Doch die Bauern in der Lüneburger Heide spielen nicht mit. Nicht einmal 30 Riesenställe sind bisher entstanden. "Die Landwirte wollen nicht: Sie bekämen Ärger im Dorf, verdienen wenig oder nichts und sind total abhängig", erklärt Niemann. Deshalb werden hier nun auch dänische Hühner geschlachtet.

In der Doppelstallung, die Niemann mustert, sind 80.000 Tiere eingepfercht. "Viel zu viele. Zu viele Hühner auf zu wenig Platz, und zu viele Hühner überhaupt", sagt Niemann. Deutschlands Großmäster produzieren schon jetzt mehr, als die Deutschen essen können. "Wir haben eine Hähnchenblase", sagt Niemann.

30 bis 45 Tage werden Hühner gemästet, bis ihr Knochengerüst die Brust kaum noch tragen kann. "1.000 Hähnchen sterben dabei im Durchschnitt pro Durchgang und Maststall", sagt Niemann, der für die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die sich 1980 als Gegenpol zum Bauernverband gründete, als Agrarindustrieexperte fungiert.

Kadaver-Sammler

Die Tiere, die es bis zur Schlachtbank schaffen, leiden bis dahin unter Knochenbrüchen, an Fußballenverätzungen, Verkrüppelungen, und sie attackieren sich auch noch gegenseitig. Zweimal am Tag läuft ein Mitarbeiter durch den Stall und sammelt die toten Tiere ein. Die Kadaver landen laut Niemann oft auf den HTK-Haufen, die im Landkreis Uelzen mittlerweile zum Landschaftsbild gehören.

"Etwa die Hälfte der Haufen ist illegal", sagt Niemann. Die Menge des Kots und der Standort müsse den Behörden gemeldet werden. Niemann sagt: "Da wird getrickst und verschleiert." Eine Bürgerinitiative aus Wriedel hat sich zur Aufgabe gemacht, die Haufen zu inspizieren, Verstöße zu melden. "Die machen HTK-Watch", erklärt Niemann, der solche Initiativen berät.

"Investoren haben Unternehmensberater, die Bürgerinitiativen haben mich", sagt Niemann, der täglich bis zu 40 Mails beantwortet, pro Woche eine Pressemitteilung schreibt, Anwälte organisiert, Veranstaltungen besucht, Vorträge hält und in seinem Kalender weniger leere Stellen findet als vor seiner Pensionierung.

Niemann schaut ein letztes Mal auf den Hühnerkot und steigt in seinen Wagen. Auf dem Kofferraum kleben Sticker: "Keine A 39" und "Bauernhöfe statt Agrarfabriken".

Oft wird ihm vorgeworfen, er sei gegen alles. Genmais, Castortransporte, Autobahnen, Massentierhaltung. Niemann findet den Vorwurf unsinnig. Es sei kein Dagegen um des Dagegenseins Willen. Niemann ist kein Wutbürger. Er ist weder frustriert noch verbissen. Wenn er über seine Arbeit redet, findet er vieles toll. Und vieles schön.

Er sagt: Toll, dass es so was gibt wie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Hier setzt er sich seit Jahren dafür ein, dass die Rahmenbedingungen für die Kleinbauern besser und für deren Konkurrenten schlechter werden. Bäuerliche Landwirtschaft sei der einzige Rahmen für artgerechte Haltung, meint Niemann.

Seine Forderung: Ein gesetzliches Verbot einer Haltung, bei der die Tiere zu stark leiden. Ob der Tierschutz dabei das Ziel ist oder nur Mittel zum Zweck, ist unklar. Freilandhaltung fordert er jedenfalls nicht – eine Beschränkung auf 15.000 Hühner pro Stall würde ihm vorerst genügen.

Niemann sitzt auf seiner Wohnzimmercouch, knetet seine Hände und lächelt. Er sagt: Schön, dass sich unter unserem Druck Teile der Politik bewegen. Schön, dass Behörden tatsächlich Ställe verbieten. Niemann lehnt sich ins schwarze Leder. Er sagt: Wunderbar, dass wir mit der ganzen Gesellschaft für die bäuerliche Landwirtschaft kämpfen. Da weiß man, dass man gewinnen wird. Die nächste Etappe ist eine Großdemonstration in Berlin in zwei Wochen.

Die Demonstration: „Wir haben die Agrarindustrie satt“, Samstag, 21. Januar, Treffpunkt 11.30 Uhr am Berliner Hauptbahnhof

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

6 Kommentare

 / 
  • PB
    Pater Brown

    Erst wenn der wackere kompetene und ehrliche Eckehard Niemann die unehrenhafte und fachlich inkompetente Radiomechanikerin (!) Ilse Aigner als Landwirtschaftsminister ersetzt hat, glaube ich, dass sich in Deutschland wirklich etwas bewegt hat. Bis dahin: Heil Dir, oh Du Agrarindustrie-Lobby!

  • A
    Antonietta

    Ein Deutscher isst ungefähr 200 Gramm Fleisch pro Tag. Macht jährlich etwa 80 Kilo Fleisch pro Kopf und rund 6,5 Milliarden Kilo Fleisch für das ganze Land. Eine solche Masse an Fleisch kann man aber nur bereit stellen, wenn man die Tiere in Massen züchtet und im Akkord tötet. Diese Massentierhaltung ist nicht nur furchtbar für die Tiere, sie ist auch schlimm für unsere Umwelt, für das Klima und für die Gerechtigkeit auf der Welt. Es gibt viele gute Gründe, nie mehr Fleisch zu essen. Aber eigentlich reicht schon einer...!

  • W
    wriedel21

    politik ist ein selbstbedienungsladen fuer privilegiere ...

  • EN
    Eckehard Niemann, Bauernlobbyist

    Kurze Anmerkung: Natürlich setze ich mich auch für Freilandhaltung ein. Die Begrenzung auf 15.000 Mastplätze ist lediglich die Struktur-Forderung, die im Rahmen der Novellierung des Bundesbaugesetzes derzeit möglich ist (die Zahl ist eigentlich auch noch zu hoch, aber es gibt derzeit keine andere Grenze als diese, dem Bundesimmissionsschutzgesetz entlehnte). Parallel dazu muss über die Novellierung des Tierschutzgesetzes bzw. der Nutztier-Haltungs-Verodnung mehr Platz und Auslauf für die Tiere vorgeschrieben werden. Dies ist nur in mittelständisch-bäuerlichen Strukturen möglichen. Durchaus nicht nur in "kleinbäuerlichen" Betrieben - insofern würde ich mich eher als "Lobbyist der Bauern" sehen. Zusammen mit der Flächenbindung der Tierhaltung (Futterfläche) wirken diese Maßnahmen nicht nur in Richtung von mehr Tier- und Umweltschutz, sondern sie verringern auch drastisch die erzeugten "Mengen" an Tieren und Fleisch - und schaffen damit günstige Bedingungen für Bauern: ein verringertes Angebot führt zu überproportional höheren Erzeugerpreisen, der Abbau von Überschüssen verhindert die Verdrängung von Bauern in den Ländern des Südens durch Dumpingexporte, die Flächenbindung der Erzeugung an den Anbau heimischer Eiweißpflanzen erübrigt den Import von "Gentech-)Soja. Ein Konzept, das man EU-weit durhsetzen kann und muss, z.B. durch die EU-Agrarreform. Der Abbau der EU-Weltmarktexporte, die Brasilien und die USA ein Dorn im Auge sind, erlauben es, bei den Welthandelsgesprächen einen EU-Außenschutz gegen ökosoziale Lieferungen durchzusetzen. Ganz viele Chancen also - man muss sie jetzt nur aktiv nutzen. Zum Beispiel durch das Netzwerk Bauernhöfe statt Agrarfabriken, durch die Kampagne Meine Landwirtschaft (www.meine-landwirtschaft.de)und durch Teilnahme an der Demonstration am 21.1. 11.30 Uhr ab Berliner Hauptbahnhof.

  • MG
    Manfred Gerber

    Man sollte bezüglich der Massentierhaltung, nicht die Problematik der resistenten Schmutz- und Fäkalbakterien unerwähnt lassen.

    In 70 % der Schweinemastbetrieben, in den meisten Hühnermastbetrieben vermehren sich multiresistente Keime und bedrohen unsere Gesundheit. Forscher fanden MRSA in der Luft in 500 metern Entfernung zu einer Hühnerfarm.

    In Gebieten mit einer hohen Dichte von Gülleaerosolen leiden die Menschen aber vor allem Kinder an ungewöhnlich häufigen Augeninfektionen und Infektionskrankheiten der Atemwege.

    Wenn wir diese in Zukunft nicht mehr mit Antibiotika behandelt bekommen, hat sich das preiswerte Hähnchen nicht gelohnt.

  • H
    Hauke

    "Ein Verbot gegen eine Haltung, in der Tiere zu sehr leiden"

     

    Bis dahin und nicht weiter. "zu sehr" sagt ja wohl alles, es macht klar was viele wissen, aber die meisten verdrängen: Jedes totgeweite Tier leidet in seinem kurzen Leben in Gefangenschaft. Wenn statt Vögeln oder nicht menschlichen Säugetieren ein Mensch das auszubeutende Objekt wäre, gäbe es einen riesen Aufschrei.