Landtagswahlkampf im Saarland: Duell mit Rollentausch
Beim Redegefecht zwischen dem angriffslustigen Ministerpräsidenten Müller und dem abgeklärten Linke-Herausforderer Lafontaine verschieben sich die Rollen. Wer fordert hier wen heraus?
SAARBRÜCKEN taz | Peter Müller reckt den Finger in die Luft. Er hüpft auf seinem Sitz auf und ab, redet mit den Händen und hebt und senkt die Stimme. Der Einsatz von Gestik und Mimik wirkt etwas zu dramatisch. Denn es geht um die Verzahnung von Universität und Wirtschaft - ein Thema, das sich trotz aller Mühe als nur bedingt zuspitzungstauglich erweist.
Der Christdemokrat Peter Müller regiert das Saarland seit zehn Jahren. Jetzt sitzt er neben seinem Vorgänger, der hier 13 Jahre regiert hat und nun die Rolle des Bösewichts in der deutschen Politik spielt. Doch Oskar Lafontaine hat an diesem Abend keine Lust, den Volkstribun zu geben.
Er lässt seine Arme über der Stuhllehne baumeln, lächelt gelegentlich, faltet die Hände und hört Peter Müller zu. "Da" sagt er ein halbes Dutzend Mal, "haben wir einen Dissens." Beim Bergbau, bei der Steuer- und Schulpolitik. Peter Müller trägt einen Schlips, in dem sich zweimal das Mikrophon verheddert, Lafontaine ein offenes Hemd. So ähnlich reden sie auch.
Eingeladen hat die beiden der Verband der Familienunternehmer. Der Verband ist überparteilich. Allerdings wäre das Publikum - die Damen im Kostüm, die Herren im Anzug - beim Wirtschaftsflügel der CDU auch nicht anders ausgefallen. Alle sind für Müller und gegen Lafontaine. Der CDU-Mann und der altersradikale Linke, das verspricht eine echte Kontroverse zu werden. Die gibt es auch. Aber weniger als erwartet. Denn Lafontaine tänzelt im Ring.
Der Streit dreht sich zum Teil um die Frage, wer mehr fürs Saarland getan hat. Müller sieht mehr Arbeitslose und miesere Wirtschaftsdaten unter Lafontaines Regentschaft - der sieht es umgekehrt. Lafontaine lobt sich für die Ansiedlung von IT-Betrieben in den 90er-Jahren, Müller sich für den Ausbau der B 268, mehr Passagiere beim Saarbrücker Flughafen und den Verkehrsverbund. Es wird schnell kleinteilig im Saarland.
Müller rattert Zahlen herunter, wirkt forscher in der Argumentation und sattelfester im Detail. Ein Streitpunkt ist der Bergbau. Müller will ihn bis 2012 ganz beenden, auch wegen der Gefahren und der Risse in den Häusern, Lafontaine kritisiert dies milde und verweist auf die "Mächtigkeit der Flöze" im Saarland.
Eher undeutlich bleibt, was die Linkspartei so ganz anders machen will. Mehr Medizintechnik gelte es anzusiedeln, sagt Lafontaine, der Bergbau solle aus Tradition etwas länger betrieben, das Schulsystem egalitärer werden. Offenbar sind auch die Unterschiede zwischen links und rechts im Saarland kleiner als anderswo.
Müller gibt sich alle Mühe, seinem "Mitkombattanten" (Müller) endlich die Maske des freundlichen Sommergastes herunterzureißen. Er plädiert für die Marktwirtschaft, giftet gegen die Idee, dass Kommunen die Energievorsorgung in die eigene Hand nehmen sollen, und versucht Lafontaine als staatsgläubigen Demagogen darzustellen.
"Sie wollen einen Kreuzzug gegen Familienunternehmen", sagt Müller. Dafür bekommt er tosenden Applaus, was beim Verband der Familienunternehmer allerdings auch kein Kunststück ist. Dann schaut Müller mit großen Augen ins Publikum, wie jemand, der gerade seinem Gegner den entscheidenden Schlag versetzt hat.
Hat er nicht. Lafontaine erklärt ungerührt, manche Steuervorschläge der Linkspartei kämen auch mittelständischen Unternehmen zugute. Die Belegschaftsbeteiligung sei keine Enteignung, man solle es eher so sehen, dass die "Belegschaft auch zur Familie gehört". Das klingt nicht nach DDR, sondern nach jener katholischer Soziallehre, der auch Müller verbunden ist.
Die Weltanschauungssätze kommen nicht von Lafontaine, sondern von Müller. So kommt es zu einer merkwürdigen Rollenverkehrung. Müller klingt zusehends wie ein angriffslustiger, etwas nervöser Oppositionsführer. Und Lafontaine wirkt abgeklärt wie ein leicht amtsmüder Regent, der seinen Kontrahenten einfach ins Leere laufen lässt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Hamburg und die Kühne-Oper
Als das Wünschen noch geholfen hat