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Landtagswahlen: Was sagen uns die Zahlen?

■ Aus den Statistiken des Bonner Instituts für angewandte Sozialwissenschaften

Bonn (dpa) - Das Institut für angewandte Sozialwissenschaft (Infas) macht in den Statistiken Parallelen zwischen den beiden Wahlen fest: In beiden Landtagen sind jetzt vier Parteien vertreten, und zwar in der gleichen Reihenfolge: SPD, CDU, FDP, Grüne; letztere in NRW mit dem knappsten aller Ergebnisse (5,0 Prozent). In beiden Ländern erhielten die „Republikaner“ eine klare Abfuhr (1,8 Prozent beziehungsweise 1,5 Prozent). In beiden Wahlgängen gab es nur bescheidene Veränderungsraten gegenüber der Vorwahl vor fünf beziehungsweise vier Jahren (maximal 2,3 Prozentpunkte). Die Wahlbeteiligung lag in Nordrhein -Westfalen knapp unter 72, in Niedersachsen knapp unter 75 Prozent - und damit in beiden Ländern niedriger als je zuvor bei Landtagswahlen seit Existenz der Bundesrepublik.

Der Machtwechsel in Hannover verschiebt nicht nur das Stärkeverhältnis im Bundesrat, er wird beträchtliche Effekte für die Strategien der Parteien in den Monaten bis zur Bundestagswahl haben. So vieldeutig der Wählerwille im Hinblick auf die Deutschlandpolitik auch gewesen sein mag: er zwingt den Parteien eindeutige Reaktionen auf. Obwohl die FDP sich in beiden Ländern und die CDU in Nordrhein -Westfalen auf ihrem Stand hat halten können, steht die Bonner Koalition als Verlierer da. Vorwahlumfragen von Infas belegen, daß klare Mehrheiten in beiden Ländern dem deutschen Einigungsprozeß mit Hoffnungen gegenüberstehen. Die Euphorie ist jedoch einer gewissen Skepsis gewichen: Zwei Drittel der Befragten in Nordrhein-Westfalen, die Hälfte in Niedersachsen rechnen bei einer Vereinigung mit einer „Beeinträchtigung des sozialen Klimas“.

In vielen Politikbereichen konnte die Regierung in Düsseldorf einen erheblichen Kompetenzvorsprung gegenüber der Opposition verzeichnen, die Regierung in Hannover nur einen geringen; in der Sozialpolitik trauten die Wähler hier sogar der SPD mehr zu.

In beiden Ländern waren es in erster Linie die Regierungsparteien, denen die gesunkene Wahlbeteiligung schadete. Die Motive waren allerdings verschieden. In Niedersachsen waren manche CDU-Anhänger wohl aus Unzufriedenheit und Skepsis zu Hause geblieben. In NRW war der SPD-Wahlkampf von vornherein auf Bestätigung der erfolgreichen Landespolitik angelegt, nicht wie vor fünf Jahren auf harten Kurs gegen die Bundespolitik. Im homogenen Arbeitermilieu, bei Zweidrittel- oder Dreiviertelmehrheiten der Sozialdemokratie, verschaffte die bewußt nicht -aggressive Werbung letztlich nicht genügend Antrieb. Die Infas-Wanderungsbilanz weist in Nordrhein-Westfalen für die SPD Einbußen an die Nichtwähler in der Größenordnung von über 250.000 aus. In Niedersachsen ging die geringere Beteiligung vor allem auf das Konto der CDU. Die bescheidenen Gewinne der „Republikaner“ gehen in Nordrhein -Westfalen zu etwa gleichen Teilen zu Lasten von CDU und SPD, in Niedersachsen stärker zu Lasten der CDU. Die Sozialdemokraten haben besonders stark in ihren Traditionsgebieten verloren, dagegen in den Hochburgen der CDU und auf deren Kosten zugenommen, vor allem im katholisch -ländlichen Raum.

In den meisten sozialdemokratischen Hochburgen mußte die SPD Verluste einstecken. Gewinne verzeichnete die CDU, aber auch die FDP; relativ gute Ergebnisse die Grünen, aber auch die „Republikaner“. Als Beispiel können die Werte für das Ruhrgebiet insgesamt gelten: gegenüber 1985 verzeichnete die SPD minus 3,2, die CDU plus 0,4, die FDP plus 0,1, die Grünen plus 0,7 und die „Republikaner“ 2,2 Prozentpunkte. Die Wahlbeteiligung ging hier um nicht weniger als 4,8 Punkte zurück. Extreme Fälle sind Gelsenkirchen (SPD-Verlust von 4,5, Rückgang der Wahlbeteiligung um 6,5 Punkte) und Essen (minus 4,2 beziehungsweise 5,5 Punkte).

Auf der anderen Seite haben die Wähler in einigen Landstrichen „gegen den Trend“ gewählt, der SPD zu Zuwächsen verholfen, der CDU Verluste beigebracht. Das gilt für den Niederrhein, das Münsterland und den Raum Paderborn, mit hohen Katholikenanteilen, aber auch für Verwaltungsstädte wie Bonn (SPD plus 0,6, CDU minus 1,5) und Münster (SPD plus 0,4, CDU minus 0,4) oder für Krefeld (SPD minus 0,6, CDU minus 2,2). In Köln hat die CDU ebenfalls 1,5 Punkte verloren, hier haben allerdings die Grünen stärker zugelegt (plus 1,5), die Sozialdemokraten dagegen 2,7 Punkte eingebüßt. Die Grünen haben deutlich besser im Rheinland abgeschnitten als in Westfalen. Zunahmen von rund 1,0 Prozentpunkte oder mehr gab es für sie in Aachen, Köln, Düsseldorf, aber auch in Essen, Duisburg und Oberhausen, hier zu Lasten der SPD. Die „Republikaner“, mit im Landesdurchschnitt mageren 1,8 Prozent, hatten noch am meisten Zulauf in Gelsenkirchen (3,8 Prozent), Hagen (3,0 Prozent) sowie Köln und Wuppertal (je 2,8 Prozent).

Die Verluste der niedersächsischen CDU sind in ihren eigenen Hochburgen etwas ausgeprägter (2,8) als in den SPD -Domänen (1,5). Die Grünen haben in allen Landesteilen und Wahlkreisen verloren, im Schnitt um 1,6 Punkte, am meisten in ihren alten Hochburgen (Göttingen, Oldenburg, Bremer Umland).

Besondere Aufmerksamkeit verdient das am 13. Mai in Niedersachsen erstmals praktizierte Wahlrecht mit zwei Stimmen, analog zum Bundestagswahlverfahren. Die Differenzen zwischen Erst- und Zweitstimmen sind teilweise erheblich. In vier Fällen konnte ein Kandidat direkt ein Mandat erringen, dessen Partei nur auf dem zweiten Platz gelandet ist. Dies gilt dreimal für den CDU-, einmal für den SPD-Bewerber. Die SPD hat die größeren Erststimmenüberhänge. In immerhin 25 Fällen lag der Vorsprung bei mehr als 2,5 Prozentpunkten, darunter in den Wahlkreisen des Hannoverschen Oberbürgermeisters Schmalstieg (34 Hannover-List) und des Oppositionsführers Schröder (41 Lehrte). Die CDU konnte in neun Fällen einen Erststimmenvorsprung von mehr als 2,5 Punkten erzielen. Darunter die Wirtschaftsministerin Birgit Breuel (46 Springe). Weder Ernst Albrecht noch Rita Süssmuth hatten sich direkt um ein Mandat beworben. Auch ein „republikanischer“ Kandidat brachte das Kunststück fertig, mehr Erst- als Zweitstimmen auf sich zu vereinen: Der abtrünnige ehemalige CDU-Parlamentarier Kurt Vajen erreichte im Wahlkreis Rotenburg persönlich 5,3, seine Partei nur 3,8 Prozent.

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