Landtagswahl in Hessen: "Bei uns gibt es kein Elend"
Im Kreistag Kassel hat die SPD in Deutschland einmalige 51,5 Prozent. Landrat Udo Schlitzberger erklärt, wie man zu so einer Mehrheit kommt - und welche Chancen SPD-Spitzenmann Schäfer-Gümbel hat.
taz: Herr Schlitzberger, ist es zum Heulen, im Moment SPD-Politiker in Hessen zu sein?
UDO SCHLITZBERGER, 62, ist seit 1991 Landrat des Kreises Kassel. Der Sozialdemokrat saß fast 15 Jahre im hessischen Landtag.
Udo Schlitzberger: Ich fand es richtig, dass die SPD versucht hat, im Landtag Mehrheiten zu finden. Die letzten Wochen waren natürlich schwierig. Aber wenn es schwierig wird, wird es auch spannend.
Kein Elend in der SPD?
Bei uns im Landkreis Kassel gibt es kein Elend, weil die SPD über eine solide und bundesweit auf Kreisebene einmalige absolute Mehrheit verfügt. Und über einen guten Landrat.
Wie kriegt man das hin mit der absoluten Mehrheit?
Lange Tradition. Und perspektivische Politik mit Pragmatismus. Ich habe früh auf dezentrale regenerative Energien gesetzt. Wir gehören zu den wenigen Kreisen in Deutschland, wo es in der Mittelstufe ein geschlossenes Gesamtschulsystem gibt - das, worüber andere reden. Drittens: Wir haben dem Privatisierungswahn getrotzt. Bei uns gibt es keine privatisierten Reinigungskräfte und eine eigene Müllabfuhr.
Sie sind Doktor der Philosophie - wie kommen Sie zum Pragmatismus?
Relativ einfach. Ich habe Anfang der Siebziger in Marburg promoviert. Da war der Teufel los. Ich bin an den kritischen Rationalismus von Popper geraten. Mich hat gereizt, zu gucken, wie so einer denkt. Von dort bin ich zu Kant gekommen, zum Revisionismusstreit in der SPD und was weiß ich. Damals war so ein Typ, der gerade Geburtstag hatte, einer der ersten bekennenden Popperianer: Helmut Schmidt.
Das heißt, die Koalitionsspekulationen langweilen Sie?
Wir hatten im Kreistag immer fünfzig Prozent plus X. Da muss man intern koalieren. Ist manchmal auch nicht einfach. Aber in den letzten Jahren hat es vertrauensvoll geklappt. Flügelkämpfe gibt es bei uns nicht.
Welche Chancen geben Sie Roland Koch?
Roland Koch hat gerade seine zweite Chance. Er hat sie wirklich. Ich bin allerdings der Meinung, dass der Koch anderswo hingehört. Er ist intellektuell besser als die Merkel, der bleibt nicht ewig in Hessen. Ich könnte ihn mir in Brüssel vorstellen.
Oder im Kanzleramt?
Sagen wir so: Schlechter wär der nicht.
Welche Chancen hat Thorsten Schäfer-Gümbel?
Der TSG hat eine Außenseiterchance. Die besteht darin, dass er jung, frisch und unverbraucht ist. Ich bin positiv überrascht von ihm. Gute Statur.
Was muss er tun, damit er heil aus der Sache rauskommt?
Ach, du liebe Zeit. Na ja, das Ergebnis vom letzten Jahr mit 36,7 Prozent ist nicht zu toppen. Wenn er um die 30 Prozent kriegt, ist das für uns und ihn sehr gut.
So viel?
Das wird kein Topergebnis, aber Sie sehen ja an meinem Kreis, dass in Hessen was möglich ist. Unsere eigene Truppe muss nur mobilisiert werden.
Tritt Ypsilanti nach der Wahl zurück?
Ypsi ist jetzt Landesvorsitzende. Wenn die Welt nicht untergeht, kommt der TSG nach der Wahl in eine Führungsrolle. Das dürfte unstrittig sein, auch wegen des Generationenwechsels.
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