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Landschaft des Verrats

Im Krimi-Rhythmus und wenig ergiebig: Lienhard Wawrzyns märkische Äpfel- und Stasiballade „Der Blaue“ im Wettbewerb  ■ Von Gert Mattenklott

Kein Paradies ohne Äpfel. Die Planung für das Havelland fuhr also die Schiene Apfelplantagen, flächendeckend, wie anderswo Rotkohl. Ausgerechnet der Apfelbauer Kaminski (Ulrich Mühe) opponiert gegen die volkseigene Monokultur. Kein Wunder, daß der Staat sich herausgefordert fühlt und Kaminskis besten Freund, den Tierarzt Skrodt (Manfred Krug), auf den Schädling ansetzt. Skrodt liefert seine Berichte als IM „Brandenburger“ an die Stasi und der Regisseur Lienhard Wawrzyn (sprich: „Wartschien“) den ersten deutschen Spielfilm über die allseitig entwickelte deutsche Verräterkultur an das Wettbewerbbüro der Berliner Festspiele.

Natürlich ist die Story noch etwas komplizierter, denn hinter jedem Abgrund öffnet sich gleich der nächste. Skrodt ist erpreßbar wegen seiner minderjährigen Geliebten und seiner problematischen Tochter. Diese, ein Schwimmstar und Reisekader (Meret Becker) ist erpreßbar mit ihrer Karriere, und wer weiß, womit die Führungsoffiziere irgendwann mal zu den Geschäften erpreßt worden waren, die sie nun mit schwitzender Beflissenheit besorgen. Nach der Umwidmung der DDR zum Beitrittsgebiet kommen noch ein paar krimi-ergiebige Erpressersituationen dazu. Das ehemalige Opfer, der Apfelbauer Kaminski, kann den vormaligen Täter, den ungetreuen Freund Skrodt, der es inzwischen zum MdB gebracht hat und im Verlauf der Handlung noch zum Staatssekretär promoviert, unter Druck setzen (oder dieser glaubt, unter Druck gesetzt zu werden); oder die Täter von ehedem erpressen ihre Genossen Mittäter, indem sie bei passender Gelegenheit die vermeintlich verschwundenen Führungsakten der Stasi hervorzaubern (oder so tun, als könnten sie es), die die Stasi für ihre IM's in blauen Deckeln abzulegen pflegte (daher der Titel). Zu jeder dieser Situationen gehört aber immer ein mehr oder weniger bereitwilliger Verrat. Weil Verrat aus Angst, Opportunismus, Gewinnsucht oder anderen egoistischen Motiven den Verräter in den eigenen Augen herabsetzt, entscheidet er sich selbst gelegentlich für ein idealisierendes Motiv: eine „historische Mission“ zum Beispiel oder die Vorstellung, der Verrat durch den engsten Freund sei für den Verratenen eigentlich noch das beste, was ihm unter den gegebenen Umständen passieren könnte. Da könnten Komödien gedeihen – oder ein Beitrag zum großen europäischen Trauerspiel unserer Zeit.

Die Publizistin Margaret Boveri widmete 1957 eine historisch-philosophische Zwischensumme dem „Verrat im XX. Jahrhundert“. Darin schreibt sie: „Heute werden als Helden oder Märtyrer die gefeiert, die gestern als Verräter gehenkt wurden und umgekehrt. Aber der Verrat bleibt bei uns, als sei er der dauernd sich wandelnde Schatten, der den stärker und schwächer werdenden, höher und tiefer steigenden Lichtern unserer Epoche zugehört.“ Was sich nach der Niederlage der Nazis aufdrängte, beweist heute erneut seine Gültigkeit. Lienhard Wawrzyn hatte die Chance, den Film zum Thema der Woche zu machen.

Vertan hat er sie nicht. Zwischen dem Verlust der Unschuld aus Anlaß der Äpfel und dem wechselseitigen Veräppeln [Selten so geschmonzelt.d.s.] und Verkohlen (am Ende hat der Stasi-Offizier seinen Platz am Reißwolf der Vergangenheit mit dem eines Heizers im Krematorium vertauscht) weitet sich die liebevoll fotografierte Havellandschaft zum weiten Feld einer tragikomischen Mythologie. Wenn MdB Skrodt nach einem fehlgeschlagenen Mordversuch an seinem potentiellen Verräter diesem einzigen Unschuldigen ein heißes Fußbad anrichtet – Judas als Unschuldslamm –, wenn er sich selber „Mut zum Verrat“ bescheinigt: „Judas hat doch nur seine historische Mission erfüllt. Sonst wär der Heiland ja nie ans Kreuz genagelt worden.“ – wird der Film szenisch, bildlich und im Dialog seinem Thema tragikomisch angemessen. Auch im Porträtieren von Gestalten hat Wawrzyn ein gutes Auge. Ulrich Mühes Kaminski ist ein Äpfel- und Kräutergartenprinz mit märchenhaften Zügen, romantischer Liebhaber außerdem und jedenfalls zu gut für diese Welt. Manfred Krug kann seinem karrierelüsternen Aufsteiger Skrodt, dieser Schlange am Freundesbusen, zusätzliches Volumen durch Naivität und Kumpelhaftigkeit geben; Meret Becker ihrer Isabelle (Skrodts Tochter und Kaminsiks Geliebter) die Kehrseite eines makellosen Rückenakts, en face die nicht ganz eindeutigen Züge eines Schlängleins, mit Äpfeln nicht weit vom väterlichen Stamm.

Am besten bewährt sich Wawrzyns Regieleistung, wenn er zuläßt, daß sich die lyrische Begabung seiner Darsteller auch in diesem perversen Szenario noch entfalten darf. Im gleichen Sinn inszeniert er auch mit Geschick die Poesie der märkischen Landschaft, altmodische Straßenbahnen oder einen Funkenregen über dem Schneidbrenner im Frühlicht von Potsdam.

Statt aber seinen Tugenden zu vertrauen, hat sich Wawrzyn, der nach etlichen Drehbüchern, Kinder- und Dokumentarfilmen hier seinen zweiten Spielfilm zeigt, allzu stark von den kriminalistischen Aspekten des Themas leiten lassen. Der Krimi-Rhythmus mit seinen konventionellen Gags gerät in ein wenig ergiebiges Konkurrenzverhältnis zu dem Thema, mit dem allein Augen und Ohren schon genug zu tun gehabt hätten, der Landschaft des Verrats.

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