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Archiv-Artikel

Landeshauptstadt wird antidepressiv

Düsseldorfer Krankenhäuser, Ärztekammer und Sozialverbände gründen ein „Bündnis gegen Depression“: Um die lebensgefährliche Volkskrankheit zu bekämpfen, sollen Laien sie erkennen lernen. Hohe Selbstmordrate in NRW war Anlass

von MIRIAM BUNJES

Ist das Seil dick genug, trägt mich der Ast, ist das Wasser tief genug? Diese Todessehnsucht einer anonymen Internetschreiberin können in der Landeshauptstadt Düsseldorf mindestens 25.000 Menschen nachfühlen, schätzt Sabine Schindler-Marlow von der Ärztekammer Nordrhein. „Und gefährlicherweise geht davon nur jeder zweite zum Arzt, weil die Betroffenen gar nicht wissen, dass es ihre Krankheit in den allermeisten Fällen therapiert werden kann.“

In Düsseldorf soll das demnächst anders werden: In einer zweijährigen Kampagne soll mehr Akzeptanz für die Volkskrankheit geschaffen werden. Außerdem werden Düsseldorfer Haus- und KinderärtzInnen, LehrerInnen, SozialarbeiterInnen und Polizeibeamte so geschult, dass sie die Anzeichen einer Depression erkennen und die Erkrankten entsprechend beraten und weitervermitteln können.

„Die Krankheit ist eigentlich auch für den medizinischen Laien nicht schwer zu erkennen“, sagt Wolfgang Gaebel, Chef der Klinik für Psychiatrie des Uni-Klinikums. „Man muss sie nur immer im Hinterkopf mit dabei haben.“ Denn oft klagen depressive Menschen über andere Beschwerden. „Schlaflosigkeit ist ein häufiges körperliches Symptom für eine depressive Erkrankung“, sagt Gaebel. „Manche klagen jedoch auch über Atemnot oder Rückenschmerzen.“ Die einfache Frage „können Sie sich noch freuen?“ kann den Betroffenen einen langen Leidensweg ersparen. „Fast jede Depression ist behandelbar“, sagt der Psychiater. „Unbehandelt dagegen endet sie bei 15 Prozent aller Erkrankten im Selbstmord.“

Das Düsseldorfer Bündnis kann entscheidend dazu beitragen, dass diese in Nordrhein-Westfalen konstant hohe Selbstmordquote (taz berichtete), in absehbarer Zeit niedriger wird. Denn ein ähnlich konzipiertes Bündnis gegen Depression hat in Nürnberg die Zahl der Selbstmorde innerhalb eines Jahres halbiert. Von den Franken haben sich die Düsseldorfer entsprechend viel Rat geholt. „Jetzt werden wir hoffentlich ein Vorbild für andere Städte in Nordrhein-Westfalen werden“, sagt Sabine Schindler-Marlow von der Ärztekammer. In Duisburg wird bereits ein vergleichbares Projekt vorbereitet.

Die Düsseldorfer Bündnispartner wollen speziell auf die unterschiedlichen Altersgruppen eingehen. „Im Alter sind die Selbstmordraten besonders hoch“, sagt Schindler-Marlow. „Das liegt daran, dass alte Menschen oft mit Verlusterlebnissen umgehen müssen.“ Deshalb werden zur Zeit viele AltenpflegerInnen qualifiziert.

Auch für Kinder und Jugendliche will das Bündnis ein spezielles Programm entwickeln. Spätestens im nächsten Jahr soll an weiterführenden Schulen über „seelische Gesundheit“ aufgeklärt werden. „Die meisten Menschen, die eine Anlage zur Depression haben, erkranken in den Dreißigern“, sagt Wolfgang Gaebel. „Wenn Jugendliche früh lernen, dass Depressionen eine Krankheit sind, gehen sie später unverkrampfter damit um.“ Psychische Krankheiten seien immer noch ein Stigma. „Die Erkrankten schämen sich, nicht normal zu sein und suchen deshalb keine Hilfe“, sagt der Psychiater. In Düsseldorf werden daher ab sofort an vielen öffentlichen Orten Broschüren ausgelegt.