: Lancierte Nachrichten
Eine Nachrichtensperre ist in aller Regel zweierlei: Ausdruck der Hilflosigkeit und eine Maßnahme eher nach innen als nach außen. So auch hier. Die Bundesregierung und ihr Lautsprecher, das Bundespresseamt mit seinem Chef Friedhelm Ost, wußten zu Beginn der Entführungsaffäre Cordes/ Schmidt selbst nicht allzu viel. Vor allem waren die Informationen, die offiziell fließen sollten, nicht so recht zu koordinieren. Mehrere Ressorts sind in solchen Fällen zuständig, zunächst das Auswärtige Amt, das sofort einen Krisenstab bildete, dann das Justizministerium für die juristischen Fragen der Auslieferung, die Geheimdienste für allerei Kontakte, die aber auch schon von den betroffenen Firmen geknüpft worden waren, und zwar nach Bonn und nach Beirut. Eine unübersichtliche Situation also für eine Regierung, die natürlich den Eindruck vermitteln will, daß sie alles im Griff hat und entschlossen handelt. Dieser Eindruck konnte solange nicht entstehen, wie jeder Journalist sich bei irgendeiner zuständigen Stelle ein Bröckchen Information abholen und dann den Rest zusammenreimen konnte. Dazu kommen allerlei Eifersüchteleien und Ressort–Animositäten. Genschers eifriger Staatsminister Möllemann brachte Gerüchte in Umlauf, er sei als Unterhändler im Gespräch. Kanzleramts–Minister Schäuble war in der merkwürdigen Rolle des Aufpassers über die Ressorts, was den Fachleuten im Auswärtigen Amt ohnehin nicht paßte. Regierungs sprecher Ost machte den Eindruck, überhaupt nicht mehr durchzublicken. In dieser ungemütlichen Situation war die Nachrichtensperre eher eine Notbremse: Schluß des Durcheinanders, Maulkorb weniger nach außen für die Journalisten als nach innen für die eigenen Leute und Entlastung von quälendem Herumgerede. Denn was da gesperrt ist bei einer solchen Nachrichtensperre, ist ja nicht die Welt. Es geht lediglich um die Informationen, die der Regierungssprecher in Bonn montags, mittwochs und freitags bei den offiziellen Pressekonferenzen regierungsamtlich verkündet. Was man dort nicht sagen will, verschweigt man sowieso, was den Entführten im Libanon schaden könnte, würde also von Regierungsseite ohnehin nicht verkündet. Nur ist jetzt der Regierungssprecher der unangenehmen Aufgabe enthoben, auf Fragen und Spekulationen der Journalisten überhaupt noch etwas sagen zu müssen. Auch er bekommt ja nicht alle Informationen, und mit einem Bröckchen Neuigkeit mehr, das ein Journalist aus einer anderen Quelle erhascht hat, kann er den Sprecher schon mal ins Stottern bringen. Damit ist Schluß, nicht etwa mit Nachrichten. Bonner Korrespondenten, wenn sie denn lange genug im Geschäft sind, haben in den Ministerien, in der Verwaltung, in den Geheimdiensten ihre Spezis sitzen, die auch bei Nachrichtensperre nicht plötzlich verstummen. Natürlich sprudeln solche Quellen derzeit nicht allzu üppig, und man muß schon Glück haben, daß ein spezieller Informant auch an einem Platz sitzt, wo er tatsächlich etwas erfährt. Aber die Berichte über die Entführungsfälle sind nach ein paar Tagen Nachrichtenflaute wieder an der Tagesordnung. „Aus Geheimdienstkreisen“ oder „aus Kreisen der Sicherheitsbehörden“ lautet meist die Quellenangabe, und genau hier sitzen Leute, die schon immer ein besonders gutes Verhältnis zu einzelnen Journalisten gepflegt haben und diese auch für ihre Interessen einsetzen. Und wer einen Freund - es muß ja nicht unbedingt ein Parteifreund sein - an ausreichend hoher Stelle etwa im Kanzleramt oder im Außenministerium sitzen hat, ist ebenfalls im Geschäft, wenn er sich an dessen Regeln hält: Nur das verwenden, was auf gar keinen Fall Rückschlüsse auf die Person des Informanten zuläßt, auch die bewußt vieldeutige „Quellen“–Angabe „aus Regierungskreisen“ unbedingt vermeiden. Nur eines ist problematisch: In solch heiklen Fällen hat der Journalist kaum die Möglichkeit, eine „heiße“ Information gegenzuchecken. Er muß darauf vertrauen, daß sein Informant nicht über ihn etwas bewußt lancieren will, womöglich sogar eine falsche Fährte legen will. Kollegen, die Kontakte zu Geheimdienstlern haben, berichten gelegentlich davon, auf diese Weise schon mal geleimt worden zu sein. Aber dafür gibts beim nächsten Mal auch wieder ein richtiges Stück Zucker. Peter Zudeick
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen