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Archiv-Artikel

Lakonische Hintergründigkeit

Ibsen ohne Adjektive zu Gast bei den Autorentheatertagen am Thalia Theater: Puristische Sprache und geballte Konzentration in Jon Fosses „Traum im Herbst“ in der Regie von Luk Perceval

von LIV HEIDBÜCHEL

Zum Auftakt der 3. Autorentheatertage am Thalia Theater gibt es großes Kammerspiel: Geladen ist Traum im Herbst des Norwegers Jon Fosse, vor anderthalb Jahren von Luk Perceval an den Münchener Kammerspielen inszeniert. Das Stück war als eine der bemerkenswertesten Arbeiten der letzten Spielzeit zum Berliner Theatertreffen 2002 eingeladen.

Jon Fosse gehört zu den meistgespielten Autoren der Gegenwart und gilt nicht nur in seiner Heimat als neuer Ibsen. Wichtigstes verbindendes Element der beiden Dramatiker sei die psychologische Sprachgebung, meint John von Düffel, Dramaturg am Thalia Theater und für die Auswahl der Gastspiele mitverantwortlich: „Auch wenn Fosses Figuren sich manischer wiederholen, so sind es trotzdem noch Figuren von großer Innerlichkeit. Nicht im Sinne von lexikalischer Komplettheit, aber im Sinne von lakonischer Hintergründigkeit. Fosse ist ein skelettierter Ibsen. Ein Ibsen ohne Adjektive.“ John von Düffel erkennt in Fosse einen der prägensten Theaterautoren der Gegenwart: „Sein Ton ist stilbildend und scheint bei vielen jungen Autoren durch. Da gibt es natürlich viele Epigonen. Konservativ ausgedrückt: Fosse ist ein Autor, der Schule gemacht hat.“

Tatsächlich ist der viel Fosse-Ton in seiner Mischung aus Reduktion und Wiederholung wörtlich zu nehmen: Meist namenlose Menschen sprechen in einem lyrischen Singsang, oft realitätsgetreu elliptisch. Sie erklären sich wortkarg und meinen oft das Gegenteil. Das Wichtigste schwebt zwischen den Zeilen. Der Autor selbst glaubt, dass sich seine Figuren nur allzu gut kennen „und deshalb gar nicht so viel reden müssen, weil alles schon gesagt wurde“.

Um diese traurige Einsicht in eine Wahrheit von Beziehungen kreist auch Traum im Herbst: Auf einem Friedhof treffen sich ein Mann und eine Frau wie zufällig, letztlich aber doch planvoll. Man kennt sich von früher, vielleicht sogar sehr gut. Der Mann ist verheiratet, hat einen Sohn. Sie ist allein. Doch eigentlich nicht viel einsamer als er. Seine Eltern gesellen sich dazu, denn Oma soll zu Grabe getragen werden. Die Mutter redet ohne Unterlass, sagt nach eigenem Empfinden jedoch kein böses Wort. Der erwachsene Sohn wehrt sich müde: „Nein gesagt nicht/ kann schon sein/ gesagt nicht/ aber trotzdem/ du sagst es die ganze Zeit.“ Alles tausendmal durchgemacht im Laufe eines Lebens: Traum im Herbst fließt ohne Grenzen durch die Zeit. Von einem Atemzug auf den anderen ist der Mann mit der Frau verheiratet.

Die Figuren bleiben in weiser Voraussicht auf dem Friedhof, denn auch ein Begräbnis geht einfach in das nächste über. Schon bald nach der Oma folgt der Vater, dann des Mannes Sohn, schließlich legt sich auch der Mann selbst hin und hinterlässt drei Frauen: Mutter und zwei Ehefrauen. Die (Über-)Mutter hakt die beiden Witwen unter: „Wir sollten wohl gehen/ es ist Zeit.“ Nur für was? „Ein Stück von Fosse ist noch kein Garant für einen tollen Theaterabend“, weiß auch Dramaturg von Düffel. Gutes Theater verheißt aber die Kombination von Fosse als „Exponent des Erzähltheaters“ mit dem Flamen Luk Perceval als einem der wichtigsten Regisseure der Gegenwart.

Perceval ist durch sein Mammut-Projekt Schlachten! zu Ruhm gelangt: Das waren zwölf Stunden Shakespearesche Rosenkriege am Stück. In Traum im Herbst lässt Luk Perceval seine Schauspieler – darunter Gundi Ellert, Stephan Bissmeier und Dagmar Manzel – nur eine konzentrierte Stunde lang durch knarzende Grillkohle um einen überdimensionalen Holzkegel stapfen und mit Schatten kämpfen. Durch die Ausstattung mit Mikroports ist die Atmosphäre ähnlich privat wie bei Stephan Kimmigs Nora-Inszenierung. Es spricht also nichts dagegen, dass Percevals im Kammerton gehaltener Traum im Herbst auch auf der Bühne des Thalia Theaters funktionieren wird.

5.+6.6., 20 Uhr, Thalia Theater