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Längere AKW-LaufzeitenDürfen die das?

Bevor die Meiler tatsächlich länger laufen, gilt es noch ein paar Hürden zu nehmen: Bundespräsident, Verfassungsgericht, neue Regierung: Sie alle dürfen mitreden.

Könnte die Laufzeitverlängerung theoretisch stoppen: Bundespräsident Christian Wulff. Bild: dapd

BERLIN/FREIBURG taz | Wie lässt sich der von der Bundesregierung beschlossene Ausstieg aus dem Ausstieg noch verhindern? Diese Frage beschäftigt derzeit Opposition und Anti-Atom-Bewegung gleichermaßen. An mehreren Stellen können die Pläne noch scheitern:

Zunächst müssen die notwendigen Gesetze vom Bundestag verabschiedet werden. Nachdem sich Fraktionsspitzen und Minister verständigt haben, ist hier aber kein ernsthafter Widerstand mehr zu erwarten.

Fraglich ist noch, ob die EU-Kommission der Laufzeitverlängerung zustimmen muss. Das hatte am Wochenende die Umweltorganisation Greenpeace erklärt. EU-Energiekommissar Günther Oettinger widersprach am Montag jedoch. Zudem würde das Verfahren dadurch vermutlich allenfalls verzögert.

Eine ernsthafte Hürde könnte der Bundesrat sein. Hier hat Schwarz-Gelb seit der NRW-Wahl keine Mehrheit mehr. Die Regierung hat deshalb ihre Pläne so gestaltet, dass - nach ihrer Meinung - die Länder nicht blockieren können. Die Ministerien für Inneres und Justiz halten "moderate" Laufzeitverlängerungen ohne Bundesrat für möglich. Ob diese Einschätzung stimmt, wird letztlich vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden werden. Wenn die Änderung des Atomgesetzes ohne Zustimmung des Bundesrats beschlossen wird, kann jedes Bundesland, aber auch ein Viertel der Bundestagsabgeordneten dagegen klagen. Mehrere Länder haben den Gang nach Karlsruhe angekündigt, ebenso SPD und Grüne im Bundestag. Sie halten bei jeder Laufzeitverlängerung eine Zustimmung des Bundesrats für erforderlich. Dabei können sie sich immerhin auf ein Gutachten von Hans-Jürgen Papier stützen. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat es im Mai für Umweltminister Röttgen erstellt.

Theoretisch könnte auch Bundespräsident Christian Wulff (CDU) die Laufzeitverlängerung stoppen. Wenn das Verfahren der Gesetzgebung nicht richtig eingehalten wurde, kann er die Unterschrift unter ein Gesetz verweigern, das Gesetz tritt dann nicht in Kraft. Es wird jedoch erwartet, dass Wulff die diffizile Prüfung dem Bundesverfassungsgericht überlässt, weil das Grundgesetz den Fall nicht ausdrücklich regelt.

Falls das novellierte Atomgesetz schließlich doch in Kraft tritt, kann eine neue Bundesregierung (bzw. deren Fraktionen im Bundestag) es wieder ändern. Falls die Stromkonzerne in Erwartung der längeren Laufzeiten bereits Investitionen in ihre Reaktoren vorgenommen haben, könnten sie gegen eine solche Entscheidung theoretisch auf Schadenersatz klagen. Weil die Unternehmen aber im Jahr 2000 dem Atomkonsens zugestimmt hatten und die Opposition bereits jetzt ankündigt, am Ausstieg festzuhalten, bezweifeln die Energiepolitiker Sylvia Kotting-Uhl (Grüne) und Matthias Miersch (SPD) aber, dass sich die Konzerne auf "Vertrauensschutz" berufen können.

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7 Kommentare

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  • A
    Andreas

    Na super! Da haben die grünen Politiker ja echt Weitsicht bewiesen, statt in ihrer Amtszeit wenigstens ein oder zwei AKWs abzuschalten, haben sie sich auf die ferne Zukunft vertrösten lassen von der ehrenwerten Atomindustrie. Oder waren Schröder/Fischer/Trittin echt so arrogant zu meinen, sie würden nun die nächsten 25 Jahre regieren bis dann das letzte AKW abgeschaltet ist?

    Das "Kernthema" der Grünen! Vergeigt im Dilletantismus.

  • B
    berlin1055

    @Andreas: Wenn sich beide Vertragparteien einig sind, einen Vertrag zu ändern, so kann dieser grundsätzlich auch geändert werden. Und das scheint ja hier leider der Fall zu sein.

    Es bleibt also nur zu hoffen, dass diese Änderung im Bundesrat zustimmungspflichtig ist und dieser die Änderung dann ablehnt.

  • A
    Andreas

    Ich kapiere es nicht! Rot-Grün hatte doch in einem riesigen TamTam konkrete Vereinbarungen über Laufzeiten gemacht. Damals wurde übrigens kein einziges AKW abgeschaltet, die Laufzeiten aber sehr reduziert, ein riesiger Vertrag zum langsamen Ausstieg. Kann man den denn jetzt einfach so brechen und einen neuen machen? Heißt das dann nicht auch, dass der alte Vertrag das Papier nicht wert war, auf dem er gedruckt wurde? Die Industrie also einfach nur auf eine neue Regierung gewartet hat und einen ganzen Stab von "Fachleuten" von Juristen über Umweltpolitiker damals über den Tisch gezogen hat? Und keiner hat´s gemerkt? Oder doch? Was meint denn Herr Trittin dazu?

    Kann mir diesen Sachverhalt hier einer mal erklären, ich habe bisher dazu nichts in den Medien gefunden.

  • P
    Pablo

    @Stefan Thiesen: Schön das wir wissen das die Dinosaurier irgendwann Aussterben. Die Frage ist nur, wann?

  • ST
    Stefan Thiesen

    Es ist alles sehr, sehr, sehr merkwürdig. Eine Verschwörung kann es nicht sein - dazu ist das alles viel zu plump und offensichtlich. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß das tatsächlich realisiert wird. Es gibt da ganz unideologische Hürden. Beispielsweise die Planungs- und Rechtssicherheit der zahlreichen Stadtwerke, die bereits Milliarden in - im übrigen intelligente - dezentrale Energietechnik investiert haben. Aber - man kann ja auch wechseln. Wer noch immer bei den Dinosauriern unter Vertrag ist, der kann jederzeit zu seinen lokalen Stadtwerken, zu Lichtblick oder den Stromrebellen wechseln. Bestimmt hat Frau Merkel das im Sinne. Wahrscheinlich ist sie am Ende viel klüger, als wir alle denken. Falls Frau Merkel zum Nachhaltigkeitstag in Düsseldorf kommt, werd ich sie mal fragen. Immerhin sind lauter Unternehmen und Initiativen aus dem Bereich erneuerbare Energien für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert. Lichtblick, der Energie Film "Die 4te Revolution", Wagner & Co Solartechnik (meine Firma). Energiesaurier sind jedenfalls nicht nominiert. Etwas muß das wohl bedeuten. Und die Dinosaurier stolpern am Ende über Seile ihrer eigenen Seilschaften. Plumps.

  • HW
    Heidemarie Wätzold

    Zu "Enzo Aduro"

     

    Mich rührt diese "dämliche" Regierung nicht. Sie schadet ja nicht "sich selbst", sondern sie schadet der Zukunft Deutschlands, also uns dem Volk.

     

    Den volkswirtschaftlichen Schaden dieser Laufzeitverlängerung kann das deutsche Volk nicht tragen. Müssen wir aber.

    Da werden großartige Sparprogramme aufgelegt, "damit die nächste Generation nicht unsere Schulden erben soll". Dafür wird dem schwächsten unteren Teil unserer Bevölkerung einfach die Existensgrundlage entzogen.

    Aber, die unkalkulierbaren Folgekosten der Atomindustrie werden uns und den folgenden Generationen total gewissenlos von dieser Regierung übergeholfen.

    Und, wenn die Atomernergieerzeuger es für betriebswirtschaftlich opportun erachten, werden sie ganz legal ihre Betriebe schließen und uns mit ihrem Dreck (Asse) alleine sitzen lassen. Wetten dass...?

    Wir sollten Merkel, Westerwelle und Konsorten wegen vorsätzlicher Veruntreuung unseres Volksvermögens verklagen.

  • EA
    Enzo Aduro

    Schon selten dämlich, wie die Regierung der Opposition hier ein Konjunkturprogramm liefert. Das wird die zweite Hotelsteuer für SchwarzGelb.

     

    Ist auf eine ganz seltsame Art auch rührend wie die Regierung sich selbst schadet