: Ladenschluß ganztägig
Bei den Beschäftigten des Einzelhandels stand gestern in zahlreichen Städten Protest an: Sie warfen die Brocken hin. Hatten die gewerkschaften HBV (Handel, Banken und Versicherungen) und DAG (Deutsche Angestellten Gewerkschaft) schon in den vergangenen Wochen mehrfach mit Erfolg zu mehrstündigen Warnstreiks im Rahmen der derzeitigen Tarifrunde aufgerufen, so blieben gestern zahlreiche Läden gleich den ganzen Tag über dicht. Bekräftigt werden sollte damit der Protest gegen das gestern vom Bundestag verabschiedete Ladenschlußgesetz.
Insbesondere in Hamburg standen zahlreiche Kunden vor verschlossenen Geschäftstüren. Nachdem in der vorangegangenen Woche vor allem große Kaufhäuser vorübergehend bestreikt worden waren, „sind heute die Filialbetriebe und Supermärkte dran“, so HBV-Sprecher Claus Eilrich. Allein in Hamburg traf es rund 20 Supermärkte. In Dortmund legten die Beschäftigten dreier Karstadt-Häuser die Arbeit nieder. Statt den Konsum zu fördern, gönnten sich die rund 1.000 VerkäuferInnen frische Luft und zogen im Anschluß an eine Streikkundgebung durch die Innenstadt. Zu kürzeren Warnstreiks kam es darüber hinaus auch in Köln, Rinteln, Bergisch-Gladbach sowie im niedersächsischen Northeim und in Hannover. Dasselbe auch im Süden: in Freiburg, Schwäbisch -Gmünd, Bamberg und in der Umgebung Tübingens.
Heute, am langen Samstag, soll es weitergehen mit den Streiks. Neben den Beschäftigten in Verbrauchermärkten und Kaufhäusern in nahezu allen Bundesländern hat die HBV die rund 4.000 Beschäftigten in „allen City-Kaufhäusern, Bekleidungshäusern und Fachgeschäften in Dortmund zum Arbeitskampf aufgerufen,“ so ihr Sprecher Eilrich.
Von der für gestern nachmittag ebenfalls angesetzten Verhandlungsrunde zwischen den Arbeitgebern, vereint in der „Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels“, und der Gewerkschaft HBV erwarteten die Gewerkschaftsvertreter auch diesmal „keinen Durchbruch im Tarifkonflikt“.
Mehrfach hatten die Arbeitgeber in den vorangegangenen Wochen Gesprächstermine kurzfristig abgesetzt. Bislang reagierten die Arbeitgeber auf die Tarifforderungen lediglich mit der Empfehlung an ihre Mitglieder, einseitige Gehaltserhöhungen von 3,6 Prozent vorzunehmen. Derzeit kann eine ledige Verkäuferin nach sieben Berufsjahren die stolze Summe von 1.516 Mark netto mit nach Hause nehmen.
Neben der Verkürzung der Arbeitszeit in Richtung 35-Stunden -Woche und der Erhöhung der Gehälter um sechs bis sieben Prozent fordert die Gewerkschaft die tarifvertragliche Absicherung des Feierabends um 18.30 Uhr. Damit hofft sie, den Bonner Freiheitsgelüsten einen Riegel vorschieben zu können. Dabei argumentiert die HBV nicht nur mit den Interessen der VerkäuferInnen, die derzeit vor allem zur Sicherung ihres Feierabends so hohe Streikbereitschaft zeigen, sondern verweist auch auf Verbraucherumfragen: Danach sind 73 Prozent der Kunden mit den derzeitigen Öffnungszeiten zufrieden, auch 69 Prozent der Berufstätigen erklären, damit auszukommen, und nur 21 Prozent wollen überhaupt länger shopping gehen - und nur 16 Prozent möchten dies ausgerechnet am Donnerstagabend.
In den Tarifverhandlungen stehen noch weitere Knackpunkte an. So wollen die Gewerkschaften den um sich greifenden Hin und Herschiebereien der Arbeitszeiten je nach Bedarf des Arbeitgebers einen Riegel vorschieben. Teilzeitbeschäftigte, so wird gefordert, sollen künftig mindestens vier Stunden am Tag zusammenhängend arbeiten. Abgeschafft werden sollen zugleich die sogenannten 450-Mark -Beschäftigungsverhältnisse, bei denen die Sozialversicherungspflicht entfällt. Und auch mit einer weiteren Unsitte, der Arbeit auf Abruf per Telefon, soll Schluß gemacht werden.
In Urabstimmungen - übrigens den ersten in diesem Bereich seit Bestehen der Bundesrepublik - haben HBV und DAG in den vergangenen zwei Wochen bundesweit die Streikbereitschaft der Beschäftigten abgefragt. „Dabei“, so sagt HBV-Sprecher Eilrich, „gab es durchweg positive Ergebnisse. In fast allen Betrieben und Bereichen haben sich über 95 Prozent der Beschäftigten für Streikmaßnahmen ausgesprochen.“ Vermutlich nicht zuletzt dank der Bonner Initiative für den Dienstleistungsabend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen