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Lachend den Tod besiegen

Eisensteins umkämpfter Film Que viva México! in der Schnittfassung seines Assistenten Alexandrow im 3001  ■ Von Alexander Diehl

Als „farbige Sinfonie über Mexiko“, so erinnert sich zu Beginn von Que viva México! Assistent Grigori Alexandrow, hatte Regisseur Sergej Eisenstein seinen Film geplant. Beispielhaft für die eigene Maßgabe einer filmischen Synthese von Kunst und Wissenschaft bediente er sich bei Dokument und Narration. Gleichermaßen inspiriert von der filmischen Ethnografie Robert Flahertys wie den sozial ambitionierten Wandgemälden etwa Diego Riveras, sollten Kontraste und Turbulenzen des Landes erfasst werden.

Nicht zuletzt freilich dürfte sich Eisenstein von dem Projekt das Ende seines sechsmonatigen, weitgehend ergebnislosen Hollywood-Aufenthaltes versprochen haben. Hier hatte er, so Alexandrow, „keine gemeinsame Sprache mit den Besitzern der Filmstudios“ gefunden. Erst als sich im November 1930 der Schriftsteller Upton Sin-clair und seine Frau als Financiers zur Verfügung stellten, konnte Eisensteins erster amerikanischer Film entstehen.

Vier Monate hatten Eisenstein, Alexandrow und der Kameramann Eduard Tissé Zeit, um einen Film fertigzustellen, „der Genialität und Ruf des Regisseurs würdig ist“ (Jerzy Toeplitz). Ohne konkrete Vorstellungen bereiste das Team Mexiko, „zwei Monate auf schweren Straßen“ (Alexandrow). Weder Zeit- noch Finanzrahmen wurden eingehalten, und im März 1932 verlangten die Sinclairs den längst überfälligen Abschluss der Dreharbeiten. Das fertige Material blieb in den USA und erfuhr wiederholte, teilweise erfolgreiche Versuche der kommerziellen Verwertung wie auch der Rekonstruktion.

1978 dann machte sich Alexandrow selbst daran, den Film fertig zu montieren und auf fehlende Passagen in einem zurückhaltenden Kommentar hinzuweisen. Zur Wiederaufführung kommt jetzt diese, bis auf weiteres maßgebliche Version des Films.

In vier teils dokumentarischen, teils ausdrücklich inszenierten Episoden („Novellen“), sowie Pro- und Epilog, bildet Que viva México! die nahe beieinander liegenden Ungleichzeitigkeiten und Umbrüche im Mexiko des 20. Jahrhunderts ab. Den Hintergrund bildet die als wesentlich verstandene Dialektik von biologischem und sozialem Moment, traditioneller Furcht vor dem Tod und dem Willen zu Leben und Fortschritt.

Der Prolog eröffnet mit architektonischen Maya-Relikten und tradierten Bestattungszeremonien das Tableau. Die erste Novelle, „Sandunga“, zeichnet ein Bild des „halb-vegetarischen“, vor-kolonialen Matriarchats, in dem die Indigenas bis zur sogenannten Entde-ckung Amerikas durch Europa gelebt haben. Die zweite Novelle, „Fiesta“, erzählt von der barocken Kultur der Konquistadoren zwischen prozessierendem Katholizismus und Stierkampf. „Maguey“ handelt von den Machtverhältnissen im Feudalsystem des Diaz-Regimes, von der Willkür der Gutsbesitzer und dem verzweifelten Mut rebellierender Tagelöhner. Nicht mehr in der vorgesehenen Weise gedreht wurde die Episode „Soldadera“ über die Rolle der Soldatenfrauen während der Revolution von 1910/12. Deren Gelingen war eine jener offen liegenden Geschichtsmarkierungen der lebendigen sozialen Veränderungen gewesen, deretwegen Eisenstein Mexiko als Gegenstand gewählt hatte. Der Vertrag mit den Geldgebern verpflichtete ihn indes, keinen „politischen“ Film abzuliefern.

Dennoch triumphiert im Epilog, der in der Gegenwart angesiedelt ist, schließlich das Lachen über den Tod, die Befreiung über die Ausbeutung: Das moderne Mexiko begeht den Tag der Toten, maskiert mit den traditionellen Skelettmasken. Als diese abgenommen werden, lacht das feiernde einfache Volk über den Tod, lächelnde Münder verspeisen den in Zucker gegossenen Tod. Hinter der Maskerade von Bourgeoisie, Klerus und Militär kommt hingegen das hohle Grinsen tatsächlicher Skelettgesichter hervor. Klar wird, wer Mexikos Zukunft bilden und wen die Geschichte entsorgen soll. Wovon seit 1932 freilich nicht allzu viel zu bemerken gewesen ist.

Que viva México!: 13., 14. + 16. – 19.7., jeweils 18 Uhr, 3001

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