■ Lachen als Thema der Kulturwissenschaft: Dinner for Leni Riefenstahl ...
An der Bremer Universität wird nicht nur über das Gehirn von Affen geforscht und über neue Materialien für den Maschinenbau, sondern auch über so profane Dinge wie das „Lachen“. Der Dekan des Fachbereiches Kulturwissenschaften, Rainer Stollmann, hat in der jüngsten Zeitschrift Impulse – aus der Forschung über seine Überlegungen berichtet.
Worüber lacht man, wenn man bei „Dinner für One“ lacht? Das wäre eine Frage. Stollmann berichtet, dass der Film von Freddie Frinton in England keineswegs erfolgreich war – in Deutschland gehört er seit 40 Jahren zum festen Silvester-Programm . Und erstaunlicherweise in der englischen Originalversion: Alles wird im Fernsehen synchronisiert, nur dieser Kultfilm nicht.
Wenn wir das Lachen bei „Dinner for One“ verstehen, verstehen wir vielleicht etwas vom Lachen überhaupt. Dass jemand während eines Stückes besoffen (gemacht) wird, haben nämlich auch andere Autoren genutzt – ohne entsprechenden Erfolg. Auch die Komik ist nicht ohne Beipiel, es gibt vergleichbare Sketche von Loriot, Manger oder Erhard, und die haben es nicht zum Silvester-Hit gebracht.
Für den Wissenschaftler des Lachens spielt es eine wesentliche Rolle, dass bei „Dinner for One“ eine typisch englische Geschichte erzählt wird. Wir lachen über das „typisch Englische“, über die Sozialcharaktere des Admirals, des Kaufmanns, der adeligen Dame und ihres Butlers. „Der Tigerkopf, über den der Diener dauernd stolpert, ruft die gesamte englische Kolonialgeschichte wach.“ Über uns könnten wir nicht so dauerhaft herzhaft lachen, wir (Deutsche) amüsieren uns über andere, „das Stück Fremdheit ist die Voraussetzung für den Erfolg in Deutschland.“
Im Kern ist es aber auch es die schauerliche Komik der Verbindung von „Noch-nicht-ganz-Gestorbenem“ mit dem „Schon-längst-Gestorbenen“, die uns zum befreienden Lachen anregt.
Eigentlich ist „Lachen“ für den Kulturwissenschafler Stollmann aber etwas Bäuerliches. „Auch wenn Lachen schon im Tierreich vorkommt“, gebe es eine charakteristische Nähe zum Bäuerlichen, schreibt er. „Ist Pflügen nicht etwa ein Kitzeln der Erdenhaut? Und gibt die von den Bauern gekitzelte Natur nicht ihre Geheimnisse, ihre Fruchtbarkeit auf ungeahnte Weise preis?“ Lachkultur und Agrikultur, findet Stollmann, „gehören zusammen“.
Lachen ist eine 15 Millionen Jahre alte menschliche Eigenschaft, schreibt Stollmann, sie sieht aus wie ein Reflex, ist aber „Mittel gegen wirkliche Angst“. Versuche, das Lachen einer „Industrialisierung des Bewusstseins“ zu unterwerfen, werden auf längere sicht keinen Erfolg haben, prognostiziert Stollmann. Die offizielle Lachkultur der Bild-Medien sind für ihn die „Lachbordelle des deutschen Fernsehens“.
Um das „bewußtlose Lachen“ über die fremde englische Geschichte zu „erlösen, also zu Bewußtsein zu bringen“, wäre Mut zu einer richtigen deutschen Groteske erforderlich, schreibt Stollmann: Aber wenn auf dem Platz von Miss Sophie die 90-jährige Leni Riefenstahl sitzen würde und mit Hitler, Göring und Hess anstoßen würde, dann könnten wir versuchen, über den „kitzeligsten Punkt unserer bundesrepublikanischen Haut“ befreiend zu lachen, über unsere angstbesetzte Geschichte. Das wäre das Gegenteil der verbreiteten Fun-Maschinen. K.W.
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