: La Boh‘eme im Feinstaubsauger
■ Goethe-Theater im Asbestnebel / Bohrloch versiegelt / 740.000 Mark Sanierungskosten kommen auf den Kulturetat zu
Ein Loch mit Folgen: Die Handwerker, die in der Nacht zum Freitag im Goethetheter zur Tat geschritten sind, haben nicht allein ein Loch in die Brandschutzwand des Theaters gebrochen. Das Loch, das sie im Theateretat hinterlassen, ist mindestens 740.000 Mark tief. Nach ersten Schätzungen wird allein die Sanierung der Schäden 400.000 Mark verschlingen. Dazu kom
hier Kari
men Einnahmeausfälle von 320.000 Mark, wenn das Theater tatsächlich vier Wochen geschlossen werden muß.
Woher das Geld im finanziell chronisch schwindsüchtigen Bremen kommen soll, ist noch völlig ungeklärt. Ilse Scheinhardt, Sprecherin der Kultursenatorin: „Die Aufforderung zur Schließung ist ja von der Senatorin als Aufsichtsratsvorsitzender
ausgegangen.“ Das Defizit ginge dann vermutlich den umgekehrten Weg. Wie das Finanzloch gestopft werden soll, weiß bei der Kultursenatorin niemand. Aus eigenen Quellen könne man kaum genug schöpfen. Ilse Scheinhard: „Da muß sich der Finanzsenator äußern“.
Bei den nächtlichen Umbauarbeiten waren den Handwerkern beim Bohren in der Zwischenwand dubiose Fasern entgegengerieselt. Als der Sicherheitsbeauftragte des Theaters am Morgen seinen Kontrollgang machte, ließ er sofort alle Arbeiten einstellen, versiegelte die Bohrungen und ließ den Staub abdecken, der sich an der Arbeitsstelle abgelagert hatte. Das Bremer Umweltlabor bestätigte: Blauasbest hatte sich zwischen Haupt- und Hinterbühne niedergeschlagen. Die Luftproben verliefen zur Erleichterung aller negativ. Und zum großen Glück war während der Umbauarbeiten der „Eiserne Vorhang“ zum Zuschauerraum heruntergelassen. Wenn der Staub dorthin gelangt wäre, „dann könnten Sie das Theater vergessen“, sagt Ludwig Müller vom Gesundheitssenator, der an der eilig organisierten Überprüfung beteiligt war. „Aus den Stühlen kriegen Sie das nicht mehr raus.“
In der Wand steckt Blauasbest. Der ist erstens besonders haltbar und zweitens, so Ludwig Müller, „wesentlich besser lungengängig als der Weißasbest und deshalb auch gefährlicher.“ Jetzt bleibt nichts anderes übrig, als erstens die Wand wieder luft- und gasdicht zu versiegeln, daß kein Asbest mehr freigesetzt werden kann. Und zum zweiten muß der kontaminierte Raum allergründlichst gereinigt werden: In den kommenden Tagen werden Menschen mit Schutzmasken und in Ganzkörperpräservativen jedes Kabel, jedes Hanfseil mit speziellen Feinstaubsaugern bearbeiten. Nach vier Wochen soll alles vorbei sein, mit etwas Glück sogar schon nach drei Wochen.
Ob in dieser Zeit der Spielplan gänzlich ruht, das kann noch niemand mit Bestimmtheit sagen. Bei einer Generalversammlung des Theaters am Mittwoch hatte Hansgünter Heyme vorgeschlagen, den Zuschauerraum und die Vorbühne zu nutzen. „Heyme glaubt, daß Nathan das vertragen kann“, sagt der Verwaltungschef des Theaters, Rempe. Doch sicher ist das noch nicht, genausowenig wie das Schicksal der La Boheme-Premiere. Bei der Belegschaftsversammlung hatten sämtliche Künstler darauf gedrungen, die Premiere nicht allzu lang hinauszuschieben.
Wenn schon nicht in der geplanten Inszenierung im Goethetheater, dann solle La Boheme wenigstens in der konzertanten Fassung in der Glocke gegeben werden. „Die Künstler sind auf Volldampf“, sagt der Konzertmeister Bernhard Gölz. „Das wäre psychologisch irrsinnig, die Premiere noch weiter zu verschieben.“ Denn sonst „muß man das alles neu einstudieren.“ Jochen Grabler
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