LULAS WAHLSIEG IN BRASILIEN STÄRKT LATEINAMERIKAS LINKE: Ein anderes Amerika ist möglich
Wir wollen ein Ende der neoliberalen Ära – so lautet die wichtigste Botschaft der brasilianischen Präsidentenwahl. Zwar hat Wahlsieger Luiz Inácio „Lula“ da Silva in den letzten Monaten das Reizwort „Bruch“ vermieden, um die Finanzmärkte nicht noch mehr gegen sich aufzubringen. Zugleich hat er aber nie einen Zweifel daran gelassen, dass er ein anderes ökonomisches Modell anstrebt als jenes, das für die letzten beiden „verlorenen Jahrzehnte“ in Lateinamerika verantwortlich ist.
Von ihrer früheren radikalen Programmatik hat sich Lulas Arbeiterpartei allerdings längst verabschiedet. Trotzdem weckt sein Triumph bei der lateinamerikanischen Linken Erinnerungen an den Wahlerfolg Salvador Allendes in Chile 1970 und den Einzug der Sandinisten in Managua 1979. Gleiches gilt für die Gegenseite: Selbst wenn sozialistische Revolutionen heute nicht mehr auf der Tagesordnung stehen, wird Lula von Washington höchst misstrauisch beäugt.
Kompromissbereitschaft und diplomatisches Geschick sind erforderlich, um die größte Bedrohung Lateinamerikas abzuwenden, die von den USA ab 2005 gewünschte Gesamtamerikanische Freihandelszone von Alaska bis Feuerland. Lula denkt zwar nicht daran, aus den Verhandlungen auszusteigen, doch mit Unterstützung durch die national gesinnte Unternehmerschaft könnte es ihm gelingen, das weitere Eindringen von US-Firmen in den Industrie- und Dienstleistungssektor nur zu erlauben, wenn im Gegenzug die Handelsbarrieren für brasilianische Produkte in den USA spürbar abgebaut werden.
Dezidierter als sein Vorgänger Fernando Henrique Cardoso wird Lula versuchen, die Regionalmacht Brasilien zu einem Gegenpol zu den Hegemoniebestrebungen Washingtons in der Anden- und Amazonasregion auszubauen. Rückenwind bekommt die Linke nun in Uruguay und vor allem in Argentinien, wo im kommenden Jahr gewählt wird. Lulas Erfolg zeigt: Ein „anderes Amerika“ ist möglich – aber nur mit langem Atem und unter Verzicht auf populistische Phrasendrescherei.
GERHARD DILGER
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