LUFTDREHKREUZ: Großflughafen oder Luftnummer?
Ein Jobmotor für die Politiker, eine Luftnummer mit schlechter Anbindung für seine Kritiker: Heute feiert der Flughafen BBI Richtfest.
In einem Jahr wird der Flughafen in Schönefeld buchstäblich zum Jobmotor: An die 9.000 Komparsen sollen im Mai 2011 das neue Terminal testen. Koffer aufgeben, in der Sicherheitsschleuse anstehen, symbolisch landen - für arbeitssuchende Studierende gibt es dann ein paar Monate lang ausreichend Rennerei, freie Verpflegung und die Ehre, den Flughafen vorab zu erleben. Ob es nach der geplanten Eröffnung im Herbst noch so viel zu tun gibt, ist indes ungewiss: Zwar prognostizieren Wirtschaftsforscher bis zu 40.000 Arbeitsplätze im Umfeld. Kritiker fürchten aber, dass Brandenburg-Berlin International (BBI) nie zum weltweit beachteten Airport wird.
Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) gab sich bei einer Rundfahrt über das Gelände unverdrossen. "Der Flughafen ist ein Konjunkturmotor für die Hauptstadtregion und eine Erfolgsgeschichte für die heimische Wirtschaft", sagte er diese Woche. Die Flughafengesellschaft betonte, dass die Bauarbeiten ungeachtet des Winters im Zeitplan liegen; bislang seien Aufträge im Wert von knapp 1,8 Milliarden Euro vergeben worden. Davon hätten vorwiegend regionale Unternehmen profitiert; an sie gingen 62 Prozent des Auftragsvolumens.
Zum Beispiel an die Baufirma Matthäi aus Velten; sie kümmert sich um Straßenanbindung und Kanalbau. Der Auftrag für den BBI macht Projektleiter Heiko Schmidt zufolge ein Fünftel vom Gesamtumsatz des Unternehmens aus, über einen Zeitraum von vier Jahren. Damit sei Matthäi gut durch die Wirtschaftskrise gekommen. Ob es mit der Auftragsflut weitergeht, wenn der Flughafen steht, ist unsicher - gebaut ist gebaut. "Wir können nur auf Folgeaufträge hoffen, zum Beispiel wenn flughafenaffine Firmen aus Tegel umziehen", sagte Schmidt.
Am heutigen Freitag wird Richtfest über dem gläsernen Terminal gefeiert, am Wochenende folgt ein Bürgerfest. Es ist ein erster Schritt, die Anwohner mit dem entstehenden Koloss in ihrer Mitte zu versöhnen: Ungeteilt ist die Freude über das Wachstum im Berliner Südosten wahrlich nicht. Da sind zunächst die Bewohner der umliegenden Orte, die mit fortschreitendem Bau realisieren, welcher Lärm sie erwartet. Mit Klagen versuchen sie, das Schlimmste abzuwenden - attraktiv dürfte ein Umzug ins südöstliche Umland aber nicht mehr werden.
Kritiker äugen zudem auf die Zeit nach der Eröffnung: Die Bahnanbindung an den Flughafen wird nicht pünktlich fertig. Gegen die sogenannte Dresdener Bahn, die die Schnellverbindung zum Hauptbahnhof werden soll, klagen Lichtenrader Bürger. Sie wollen einen Tunnel durch ihr Viertel, den aber will die Deutsche Bahn nicht bezahlen. Auch gegen die Ostanbindung gibt es Proteste, diesmal von Naturschützern. Wann der Bau vollendet sein wird, ist offen.
BBI-Gegner schwanken letztlich zwischen zwei Szenarien: Entweder wird der Flughafen bald zu klein, kann aber nicht wachsen. Der Standort - Schönefeld wurde zwei weiter von Berlin entfernt gelegenen Alternativen vorgezogen - sei schlecht gewählt, weil durch sein bewohntes Umfeld in der Expansion begrenzt, heißt es. Oder: Der BBI entwickelt sich von vornherein zum Milliardengrab - diese These verfolgt der Autor Frank Welskop in einem Buch, in dem er den Flughafenbau mit dem Berliner Bankenskandal vergleicht. Billigflieger wie Ryanair würden lieber kleinere Flughäfen in der Region wie Eberswalde-Finow ansteuern, dürfen nur derzeit nicht. Die Lufthansa hat bereits angekündigt, dass sie Berlin nicht zum Drehkreuz machen will. Mit dem Einfallstor zu Osteuropa hin wird es also nichts. Und Direktverbindungen in die USA sind ebenfalls in weite Ferne gerückt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten