LOB DES PAPIERS: Zehn sanfte Sätze für die tageszeitung,
■ die eigentlich eine Rose ist.
Zeitungen machen die Welt sichtbar. Nicht im banalen Sinne — in diesem Rahmen ist uns das Fernsehen überlegen. Aber im buchstäblichen: indem sie durch den Filter der Sprache und der Fotos zum Ereignis machen, was bisher nur Faktum war (in Brasilien, im Kongo und in Sossenheim), indem sie dokumentieren, daß unsere Wirklichkeit auf Wahrnehmung beruht, auf dem, was wir für wahr nehmen wollen und prüfen müssen. Zeitungen machen wirklich.
Und wie verläßlich sie sind... Nach Tagen, Wochen und Jahren wissen sie noch zu sagen, was damals los war in Rom, in Bonn und Riga. Wissen noch heute, was damals Wissen war. Verändern ihre Wahrheit Tag für Tag, lernen dazu und bewahren doch alles auf. Zeitungen sind Gedächtnis.
Und wie sie alles besser wissen... Am Tag darauf schon eine Meinung haben, mit der Meinung die Wirklichkeit beschreiben und verändern: zu Sarajevo und zu Rostock. Zeitungen sind schlau.
Und wie sie dialektisch-hektisch sind: gestern der Kommentar von Christian Semler, und heute Mathias Bröckers, der doch ganz anders an die Sache 'rangeht. Vorgestern Melcic, heute Baier, und übermorgen Enzensberger. Zeitungen widersprechen sich.
Und wie sie uns morgens wecken: mit der letzten Nachricht, die direkt aus Rio kam, von eben der Korrespondentin, die gerade auf ihr Lager sinkt. Zeitungen sind schnell.
Und wie sie uns begleiten: mit Kommentaren und Analysen, mit Hintergrundberichten und Essays, für die man lange reisen, reden, recherchieren mußte: Zeitungen sind langsam.
Und wie es dann so schön staubt... Diese Stapel in der Ecke, die freundlich und unverbindlich bitten, gelesen zu werden (und die man nach Monaten seufzend entsorgt). Das Entzücken, diesen Artikel über Kuba damals 'rausgeschnitten zu haben und das Interview mit Luigi Nono, weil für dieses Jahr die Karibik als Reiseziel ansteht und für Samstag ein Konzertbesuch. Zeitungen sind praktisch.
Und wie es so freundlich gilbt... Die sanfte Mahnung an den auch eigenen Verfall, und wie langsam wir zu Staube werden, verglichen mit der Tageszeitung. Zeitungen sind höflich.
Und wie es so mild-muffig duftet... Nichts ist der denkenden Nase so angenehm wie altes, klug und schwarz bedrucktes Papier (den Nacken des libidinösen Ob- und Subjektes einmal ausgenommen). Zeitungen riechen gut.
Die taz ist Werkstatt des Eigensinns und macht Wahrnehmung wirklich, weil sie die Wahrnehmung prüft. Die taz ist kollektives Gedächtnis vieler Einzelner und der wichtigsten deutschen Bewegungen. Die taz ist ziemlich schlau und widerspricht sich ständig. Die taz ist langsam und schnell, die taz ist praktisch auch im Format. Die taz gilbt ausnehmend schön, und sie verbreitet den Duft der großen, ganz anderen Welt. Die taz ist überhaupt mehr Rose als Zeitung, wenn man die Stacheln bedenkt. Elke Schmitter
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