LGBTQ in der Ukraine: Nicht alleine lassen

Menschen aus der LGBTQ-Szene Osteuropas sind oft Diskriminierung ausgesetzt. Nun haben sich zahlreiche Organisationen in Deutschland zum Bündnis „Queere Nothilfe Ukraine“ zusammengeschlossen.

Menschen auf einer Pride-Parade. Eine Person zeigt ein Schild „Ukraine is gay“.

Make Love Not War Foto: Gary Ashe / picture alliance/dpa/PA Wire

Unter den ehemaligen Sowjetrepubliken ist die Ukraine eigentlich eine der fortschrittlichsten, wenn es um den Schutz und die Förderung der Menschenrechte von queeren Personen geht. Vor der Pandemie gab es in den großen Städten gut besuchte Pride-Paraden und auch rechtlich tut sich einiges. Die Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung oder Geschlechts­identität am Arbeitsplatz ist seit 2015 verboten, ein Jahr später wurde das Verfahren zur Geschlechtsumwandlung erheblich vereinfacht und seit 2021 dürfen homosexuelle Menschen Blut spenden.

Text von Lena Bammert

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Die Aktivistin Oleksandra Semenova kämpft seit Jahren für diese Veränderungen. Die 37-Jährige ist lesbisch, „sehr stressresistent“, hat „absolut keine Angst vor ihrem Alter“ und setzt sich mit ihrer NGO „You are not alone“ für LGBTQ-Rechte in ihrer Heimatstadt Schytomyr ein.

Druck von Rechts und religiösen Gruppen

„Die Lebensbedingungen für queere Menschen in der Ukraine haben sich in den letzten Jahren verbessert, die jüngere Generation ist deutlich toleranter“, schreibt Semenova per Mail. „Gleichzeitig hat der Druck radikaler Gruppen zugenommen. Sie werden häufig von ehemaligen Vertretern russischer ultra-nationalistischer Bewegungen angeführt und predigen eine offene Feindseligkeit gegenüber LGBTQ-Menschen.“

Die rechten Gruppen sind nicht die einzigen, die in der Ukraine gegen queere Menschen predigen. Der All-Ukrainische Rat der Kirchen und religiösen Organisationen (­AUCCRO) sprach sich sowohl gegen das Verbot von Diskriminierung am Arbeitsplatz als auch gegen die Kriminalisierung von Hassverbrechen und gegen die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen oder Lebenspartnerschaften aus. In der Regel waren die Lobbying-Bemühungen der führenden Kirchen erfolgreich. Mit Ausnahme der Antidiskriminierungs-Änderungen am Arbeitsgesetzbuch hat das ukrainische Parlament alle Gesetzesentwürfe abgelehnt.

Und dann kam der Krieg

Seit dem Angriffskrieg Russlands sind die homophoben Stimmen leiser geworden, es geht gerade für alle ums Überleben, die Sexualität oder Geschlechtsidentität rückt größtenteils in den Hintergrund. Doch auch bestimmte Schutzmechanismen greifen zur Zeit nicht, erklärt Andrii Kravchuk vom Nash Svit Center, einer Menschenrechtsorganisation, die vor mehr als 20 Jahren von einer Gruppe russischsprachiger schwuler Aktivisten in Luhansk gegründet wurde.

So gibt es in der Ukraine momentan nur wenige Zufluchtsorte für LGBTQ-Personen. Trans Menschen wiederum fehlt es an Medikamenten für ihre Transition und in den von Russland besetzten Gebieten kann es für queere Personen schnell gefährlich werden. „Die größten Probleme der ukrainischen LGBTQ-Bewegung entstehen derzeit dadurch, dass Mitglieder von Organisationen häufig selbst zu Geflüchteten werden und einige Initiativen gezwungen waren, in andere Städte umzuziehen“, sagt Kravchuk.

Oleksandra Semenova floh in der ersten Woche des Krieges, als die Bomben auf ihre Heimatstadt fielen und sowohl ihre Partnerin als auch ihre Mutter zum ersten Mal in ihrem Leben Panikattacken bekamen. Zusammen mit ihren drei Katzen schafften sie es aus Schytomyr nach München. Dort wurde ihnen von Munich Kyiv Queer geholfen. Die Kontaktgruppe ist Teil des Bündnisses „Queere Nothilfe Ukraine“, einem Zusammenschluss zahlreicher Organisationen aus der LGBTQ-Community, die sich speziell für queere Geflüchtete aus der Ukraine einsetzen.

Auch nach der Flucht bleibt die Unsicherheit

Vadim Mirovsky unterstützt Munich Kyiv Queer seit Anfang April ehrenamtlich. Er kommt ursprünglich aus Usbekistan, seine Vorfahren aus der Ukraine. Menschen wie Semenova nennt Mirovsky nicht „Geflüchtete“ sondern „Menschen, die bei uns zu Gast sind“. Er hilft ihnen mit der deutschen Bürokratie, beantwortet Anfragen, ruft Ämter an, versucht Tipps zu geben, das System zu erklären. Der 39-Jährige erzählt von Paaren, die sich anfangs nicht trauten, sich vor den Behörden zu outen. „Die Menschen, die hierherkommen, müssen sich erst neu finden“, sagt er.

Munich Kyiv Queer vermittelt den queeren Geflüchteten auch sichere Unterkünfte. Aber das wird immer schwieriger. „Die Romantik der anfänglichen Willkommenskultur ist nicht mehr da. Die Gastfamilien sind müde, wollen Zeit für sich. Die melden sich nicht mehr bei uns“, sagt Mirovsky. „Wenn jetzt eine private Unterkunft wegbricht, dann muss diese Person in eine Sammelunterkunft oder ein Ankerzentrum gebracht werden. Wer weiß, was dann passiert, wie ihr Leben wird.“

Mirovsky weiß von einer HIV-positiven Frau, die ständig in der Sorge lebt, dass die anderen Frauen in ihrem Zimmer von ihrer Erkrankung erfahren. Für queere Menschen sind Gruppenunterkünfte ohnehin oft Orte der Angst, weil sie ständig auf die Akzeptanz und Toleranz anderer Menschen angewiesen sind.

Die Bedeutung einer sicheren Wohnsituation bestätigt auch Quarteera aus Berlin. Der Verein ist ebenfalls Teil des Bündnisses „Queere Nothilfe Ukraine“ und wurde vor über zehn Jahren von russischsprachigen Menschen aus der Community gegründet. Die meisten Geflüchteten, die über Quarteera betreut werden, möchten laut der Organisation in Berlin bleiben und suchen dort nach einer Unterkunft, da es an anderen Orten kaum queere Strukturen gibt, vor allem keine russisch- oder ukrainischprachigen. Viele Geflüchtete haben laut Quarteera Angst, Berlin zu verlassen und keinen Zugang zur Community mehr zu haben, keine Unterstützung mehr zu bekommen.

Die Hoffnung auf ein bessere Leben bleibt

Oleksandra Semenova ist untergekommen und macht in Deutschland weiter, wo sie in der Ukraine aufhören musste: Sie hilft Menschen. In ihrem Heimatland tat sie das mit ihrer NGO „You are not alone“, hier macht sie es mit Munich Kyiv Queer. Sie betreut deren Social Media, hilft den Geflüchteten bei der Wohnungssuche oder mit Dokumenten für eine Aufenthaltsgenehmigung. Sie klärt außerdem, ob die Menschen finanzielle Hilfe für die Evakuierung nach Deutschland benötigen. „Ich hoffe wirklich, dass alles so schnell wie möglich vorbei ist. Ich möchte einfach nur einen friedlichen Himmel“, schreibt sie.

Semenova hatte viele Pläne für das kommende Jahr. Ausflüge, Praktika und Trainings mit ihrer NGO. Zeit mit ihrer Partnerin, ihren Katzen verbringen. „Der Krieg war definitiv nicht Teil dieser Pläne. Er hat sie einfach durchgestrichen.“

Die Hoffnung hat er ihr nicht geraubt. „Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass die Ukraine nach dem Sieg gegen Russland ein freies und wohlhabendes europäisches Land sein wird“, schreibt Semenova. Die ukrainische LGBTQ-Gemeinschaft brauche die gleichen Rechte, die Westeuropa bereits habe. Dann, so hofft Semenova, werden „unsere Leute endlich aufhören, aus dem Land zu fliehen, und sie werden mit ihren Regenbogenfamilien eine glückliche Zukunft in unserem Heimatland aufbauen“.

• Dieser Text erscheint im taz Thema Christopher Street Day, Ausgabe Juli 2022. Redaktion: Ole Schulz.