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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

■ betr.: „Der Anfang“, Kommentar von S. Zastiral, taz vom 7. 8. 09

Hochfliegende Projekte

Ich kann den im Kommentar verbreiteten Optimismus leider nicht teilen. Das Gesetz ist ein Meilenstein – aber erst einmal nur auf dem Papier. Das Bildungsproblem in Indien löst sich nicht, indem die Anzahl der Schulen erhöht wird. Schon das heutige staatliche Schulsystem ist unzureichend. Gerade in den ärmeren Gebieten und auf dem Lande gibt es nicht genutzte Schulgebäude, weil Lehrkräfte fehlen oder nicht zur Arbeit erscheinen. Viele gehen lieber gleich in die Privatschulen – dort bekommen sie zwar noch weniger Lohn, aber das Geld kommt wenigstens pünktlich. Im Bundesstaat Tamil Nadu hat die Regierung die Kosten für die Schulbücher übernommen. Nun berichteten Zeitungen, dass einige Lehrer nicht das Geld für den Buchtransport zur Schule aufbringen/einsammeln konnten.

Leider gibt es Indien schon im Primärschulbereich viele Privatschulen. Die betuchteren Eltern schicken ihre Kinder also dorthin und haben mit den Problemen der Unterschichtkinder in den staatlichen Schulen nichts mehr am Hut. Wie man das Schulsystem verbessert, ist längst bekannt: Mindestqualitätsanforderungen an die Schule stellen und auch in der Realität durchsetzen. Lehrer so gut bezahlen, dass es ein erstrebenswerter Beruf wird. Auch entfernt wohnenden Kindern den Besuch ermöglichen (Freie Bustickets, eigener „Fahrradfuhrpark“ …). Die manchmal schon vorhandenen Schulspeisungen überall (auch qualitativ) so aufbauen, dass sich jedes Schulkind komplett über die Schule ernähren kann. Die Gefahr von bleibenden Schäden durch Fehl-/Unterernährung wird so geringer, und arme Familien müssen ihre Kinder nicht mehr zum Arbeiten wegschicken, um so einen Esser weniger zu haben. Auch wenn Indiens Wirtschaft selbst jetzt noch mit berauschenden Wachstumszahlen glänzt: Die Schere zwischen Arm und Reich geht beständig weiter auseinander, und die Mehrheit der Bevölkerung leidet unter den gestiegenen Grundnahrungsmittelpreisen.

Vor 14 Tagen hat Indien der Weltöffentlichkeit sein erstes Atom-U-Boot präsentiert. Die Sonde Chandrayaan-1 umkreist derzeit den Mond und sucht dort nach einem zukünftigen Landeplatz für eine eigene bemannte Mondmission. Hoffen wir, dass trotz der hochfliegenden Projekte die Grundbildung der eigenen Landeskinder doch noch verbessert werden kann.

RAINER SONNTAG, derzeit in Südindien

■ betr. „Die Biobranche wehrt sich“, taz vom 8. 8. 09

Bio bleibt die bessere Wahl

Immer wenn irgendwelche Wissenschaftler meinen, mal wieder gegen die Biobranche wettern zu müssen, kann ich eigentlich nur den Kopf schütteln und frage mich, warum diese Menschen nicht mit gleicher Energie über die konventionelle Tier- und Lebensmittelindustrie berichten. Doch über diese schlimmen Zustände – speziell bei der Tierhaltung – wird lieber geschwiegen. Selbst wenn die Bioprodukte nicht immer völlig schadstofffrei sind, so unterliegen sie doch wesentlich strengeren Richtlinien als alle anderen Produkte und werden für mich daher immer die bessere Wahl bleiben. Solange die Politik jedoch gegen die furchtbare Massentierhaltung tatenlos bleibt, solange sollte ein jeder – der auf Fleisch nicht verzichten möchte/kann – im Bioladen kaufen, damit er wenigstens diese Tierquälerei nicht weiter fördert. SIMONE SCHULZ, Berlin

■ betr.: „Sozialdemokraten im Sinkflug“, taz vom 8. 8. 09

Anregungen zum Weiterdenken

Die Angelegenheit ist in der Tat schwierig. Die SPD hat sich mit der sogenannten Agenda 2010 eine Lage geschaffen, die sie selbst eigentlich immer bekämpft hat – und in Teilen heute noch bekämpft. Beispiel Leiharbeit: Mit welchem Gefühl geht der Leiharbeiter zur Arbeit, der a) nur die Hälfte seines fest angestellten Kollegen verdient und der b) quasi täglich kündbar ist? Was sagen die Sozialdemokraten zur Erosion des „Normalarbeitsverhältnisses“, gerade auch unter ihrer Ägide? Dies nur als ein paar momentane Anregungen zum Weiterdenken.

Das, was sich einmal Arbeiterklasse nannte, hat sich zum allergrößten Teil von der SPD ganz und gar abgewandt – und schon seit Jahren steigt der Anteil der Nichtwähler beachtlich an. Jeder zweite potenzielle Wähler verzichtet auf die Stimmabgabe und bleibt lieber zu Hause, weil „die da oben“ ja doch alle lügen (man denke nur an Kohls „blühende Landschaften“ oder an das Schröder/Clement’sche Glaubensbekenntnis, vorgetragen zur Einführung von Hartz IV: „Keinem wird es schlechter gehen!“ Noch viel früher hörte man aus dem Munde von Herrn Blüm „Die Rente ist sicher!“ (ob er da an seine eigene Rente dachte?).

Oder auch Die Grünen. Sie wollten uns in den 80ern mit einem bedingungslosen Grundeinkommen beglücken. Was ist daraus geworden? Hartz IV und die Grundsicherung im Alter – mit Ämterschikane und engster Auslegung der Bedürftigkeit. Es gibt noch viele weitere Beispiele, etwa den vermasselten Atomkraftausstieg und die stets steigenden Energiepreise, um nur wenige zu nennen. Auch dass heute Bundeswehrsoldaten in Afghanistan Krieg führen, ist schon fast selbstverständlich geworden – dabei verbietet das Grundgesetz in Artikel 26 Angriffskriege strikt!

All diese Erfahrungen und Tatsachen stimmen WählerInnen nun einmal nicht gerade hoffnungsfroh. MICHAEL HEINEN-ANDERS, Köln