LESERINNENBRIEFE :
Rückbau der Kapazität
■ betr.: „Stuttgart 21 wird offenbar noch teurer“, taz vom 3. 12. 12
Stuttgart 21 wurde über Jahrzehnte als „bestgeplant“ beworben. Was ist von diesen Versprechungen geblieben? Der als „doppelt so leistungsfähig“ angepriesene Bahnhof erweist sich nach Überprüfung durch Wissenschaftler (http://www.wikireal.info/wiki/Stuttgart_21/Leistung) als Rückbau der Kapazität.
Kann der jetzige Kopfbahnhof über 50 Züge/Stunde abwickeln, sind es bei S 21 maximal 32. Der Brandschutz im Tiefbahnhof ist nach bahneigenen Gutachten katastrophal und so nicht genehmigungsfähig. Der bestehende Kopfbahnhof, der für alle Reisenden – auch für Rollis und Kinderwagen – ebenerdig Bewegungsfreiheit und Fluchtmöglichkeit bei Unfällen bietet, soll durch einen engen Tiefbahnhof mit Treppen ersetzt werden. Die Aufzüge sind im Brandfall nicht nutzbar.
Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Kaufvertrag über eine teure Luxuslimousine abgeschlossen, geliefert wird ein Gebrauchtwagen ohne Räder. Was würden Sie tun? Noch mehr bezahlen, um den Wagen wenigstens fahrtüchtig zu machen – oder den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten?
SUSANNE GLAUBITZ, Freiburg
Kurzfristig gedachte Fehlinvestition
■ betr.: „Fracking-Gefahr in Tunesien“, taz vom 4. 12. 12
Egal, ob über neue Kohlekraftwerke in Deutschland, Atomkraftwerke in Tschechien oder Fracking in Tunesien berichtet wird: Immer wieder wird gedankenlos verbreitet, dass erneuerbare Energien teurer wären und daher erst noch Investitionen in die anderen Techniken nötig werden.
Richtig ist, dass im Augenblick des Entstehens der Energie zum Teil jetzt noch die alten Techniken weniger Kosten verursachen. Aber in die wahren Kosten der Energieproduktion muss man doch auch einbeziehen, welche Kosten daneben noch anfallen.
Bei den fossilen Brennstoffen sind das mit Sicherheit die Kosten für den Klimawandel, der nicht nur den Bau höherer Deiche erfordert, sondern jetzt schon zu Völkerwanderungen und Verteilungskriegen führt. Bei der Atomkraft muss man die Kosten addieren, die durch die Lagerung des Atommülls für eine Million Jahre anfallen werden, und zusätzlich auch noch das Risiko eines nicht so unwahrscheinlichen GAUs einbeziehen.
Vor diesem Hintergrund davon zu sprechen, erneuerbare Energien seien zu teuer, ist ein Hohn und schlichtweg dumm! Richtig ist: Allein die Investition in erneuerbare Energien wird unsere Erde artenreich und lebenswert erhalten. Jeder Dollar, jeder Euro, jeder Cent, der in den Ausbau fossil oder atomar betriebener Kraftwerke fließt, ist eine egozentrische und extrem kurzfristig gedachte Fehlinvestition! STEFAN BLUEMER, Mülheim/Ruhr
Erhebliche Benachteiligung
■ betr.: „OECD-Studie. Integration ist besser als ihr Ruf“, taz vom 4. 12. 12
„Deutschland hat Fortschritte bei der Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt gemacht.“ So oder ähnlich berichten die deutschen Medien heute unisono über eine neue OECD-Studie. Diese Interpretation gründet sich offenbar auf einen einzigen Satz in der Pressemitteilung der OECD: „In Germany, employment rates of immigrants have risen from 57 % in 2000 to 64 % in 2010.“
Im selben Zeitraum sind die Erwerbstätigenquoten der gesamten Bevölkerung gestiegen – es wäre katastrophal, wenn dies nicht auch für Eingewanderte der Fall wäre. Entscheidend ist die Frage, ob sich die Benachteiligung von Migranten verringert hat. Ein Blick in den Bericht zeigt: Das ist in Deutschland nur ganz minimal der Fall. Der deutsche Fortschritt liegt sogar noch unter dem OECD-Durchschnitt. Freilich gibt es auch Länder, die Rückschritte erleben mussten. Darunter befinden sich unter anderem Länder, die von der Eurokrise stark betroffen sind. Die Schlussfolgerung aus dem OECD-Bericht müsste also lauten: „Obwohl Deutschland bei der Beschäftigungsentwicklung so gut dasteht wie kaum ein anderes EU-Land, konnte es die Benachteiligung von Eingewanderten kaum abbauen.“
Der OECD-Bericht gibt auch einen Hinweis, warum das so ist: Während es bei den Geringqualifizierten kaum einen Unterschied in den Erwerbstätigenquoten gibt (sie sind für Einheimische und Eingewanderte gleich schlecht), erfahren Hochqualifizierte eine erhebliche Benachteiligung. Das ist in vielen Ländern so, aber nur in wenigen ist der Abstand größer als in Deutschland. Das verweist auf die Problematik der Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen in Deutschland. MATTHIAS KNUTH, Hattingen