LESERINNENBRIEFE :
Warum verteidigt die Polizei die Rechten
■ betr.: „Polizei und Rassismus“, taz vom 22. 12. 12
Ich rate dem Chef der Gewerkschaft der Polizei, Herrn Witthaut, sich einmal anonym bei einer Antirechtsdemo unter die Demonstranten zu mischen. Vielleicht erlebt er dann eine andere Realität: Wenn ein einzelner Polizist, der seine Kollegen sucht, sich seinen Weg durch die Menge prügelt und den Freund unserer Tochter mit einem Kopfstoß seines Helmes auf die Seite räumt. Oder berittene Polizisten in Berlin einen Punk mit dem Pferd gegen einen Stromkasten drücken, bis der Stromkasten zerbricht, wie unser Sohn erlebte. Wenn die Polizei den Oberbürgermeister von Singen, der sich gegen rechte Demonstranten stellen will, unter Androhung von Gewalt von der Straße führt, obwohl der auf sein Hausrecht pocht.
Überhaupt, warum verteidigt die Polizei rechte Demonstranten mit Vehemenz und Gewalt? Linke scheinen für manche Polizisten Abschaum zu sein. Oder sympathisieren sie mit den rechten Demonstranten? Ich bin für eine Kennzeichnungspflicht für alle Polizisten, speziell bei Demos, damit wieder Recht und Ordnung einzieht. Wir brauchen eine Polizei, die alle schützt, nicht nur ihre straffälligen Kollegen. CHRISTOPH KROLZIG, Moos
Saufen ist salonfähig und Pflicht
■ betr.: „Versuchen Sie mal, nichts zu trinken“, taz vom 27. 12. 12
Die Reaktionen auf das Nicht-Alkohol-Trinken sind bedenklich. Ob es um Tee statt Rotwein beim Mittagessen, Kakao statt Glühwein oder das Bitte-kein-Sekt-tagsüber auf dem Geburtstag geht: Saufen ist salonfähig und Pflicht, Nichtsaufen kündigt sozialen Konsens auf und gibt Anlass zu besorgten Fragen, ob man krank sei (!). Interessant finde ich, dass (nach meiner subjektiven Erfahrung) das Komasaufen eher bei sehr erwachsenen als bei jüngeren Menschen ein Thema ist. Unser Leben muss wohl furchtbar sein. Ich trinke auch mal gerne, aber ebenso gerne eben auch nicht und will das nicht rechtfertigen. Auf Daniel Schreibers weitere Kolumnen bin ich sehr gespannt! PETRA GROSSE- STOLTENBERG, Hattingen
Etwas zum Freuen finden
■ betr.: „30 Jahre in der Kiste“, taz vom 24./25. 12. 12
Sehr interessant und auch schön fand ich die Darstellung der verschiedenen Schicksale in dieser taz-Ausgabe.
Besonders berührt hat mich das von Klaus Witt und was er gesagt hat. Den Frust kann ich so gut nachvollziehen: zwar nach 30 Jahren im Gefängnis „in Freiheit“, aber wegen der so unwürdig knappen Finanzen doch wenig – jedenfalls äußere Freiheit. Wunderbar, herzlichen Glückwunsch, dass er diese Kiste so gut durchgestanden hat und sich nicht verloren hat. Nun wünsche ich ihm von ganzem Herzen, dass er trotz dieser Knebelung durch das „kaputte System“ jeden Tag mehr findet zum sich doch Freuen. Über sich selbst, über einen Baum, ein Lächeln, seine Morgenzigarette, einen Song, das Sonnenlicht auf der Wiese usw. Sich als Mensch nicht unterkriegen lassen, das wäre doch schön, wenn das trotz allem gelingt.
SABINE HÖNIG, Freiburg
Verkäufliche Welt
■ betr.: „Wahnsinn Wachstum“, taz vom 21. 12. 12
Die plakative Aussage „hohe Steuern für Spitzenverdiener sind aktiver Umweltschutz“ deuten die Querverbindungen an, von denen es so viele gibt, dass es nicht sinnvoll ist, Einzelprobleme auszugliedern. Vielmehr haben wir ein Geflecht von Problemen, die sich gegenseitig bedingen und verstärken. Sie bilden zusammen eine Metakrise. Fast alle gesellschaftlichen Bereiche sind bereits davon erfasst: Aspekte der Gerechtigkeit, Demokratie, Klima, Umwelt/Lebenswelt, Armut und Hunger, Wirtschaft und Finanzen, internationale Beziehungen, Kultur, Bildung, Flüchtlingselend, Migration, Gesundheit usw. Wir müssen die den Problemen gemeinsame Logik aufspüren. Die sehe ich in den Werten und der Ideologie unserer Gesellschaft, also in ihren Grundlagen. Wenn wir die ganze Welt (einschließlich der Menschen) zu einer verkäuflichen Ware machen, ist es kein Wunder, dass sie tatsächlich verkauft und verraten wird. Umsatz ist wichtiger als echter Nutzen. Auch Schädliches und Schändliches wird gern dafür in Kauf genommen. Das ist kein moralischer Fehler von einzelnen Menschen (den „Bösen“), sondern des Systems, dem wir alle angehören und huldigen! Wir brauchen neue Vorstellungen davon, welche Aufgabe Wirtschaft und Staat für uns haben, und sollten alte dafür über Bord werfen oder mit neuem Inhalt füllen, zum Beispiel Vollbeschäftigung, Wachstum, (Erwerbs-)Arbeit, Gerechtigkeit, Geld, Leistung. Wir brauchen eine menschliche Wirtschaftswissenschaft. CHRISTOPH SCHWAGER, Rendsburg