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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Ideologie trifft auf Wirklichkeit

■ betr.: „Superwoman will nicht mehr“, taz vom 5. 11. 13

Liest man ein wenig zwischen den Zeilen im Beitrag von Heide Oestreich, dann könnte man denken: Frauen sind also auch selbst verantwortlich, wenn sie langfristig im Schnitt weniger verdienen. Auch wenn so einen Gedanken im durchgenderisierten, postsäkularen Deutschland bisher nur eine Frau offen formulieren darf, und das auch nur zaghaft und zwischen den Zeilen, so ist es doch erstaunlich, einmal zu lesen, was im Grunde ohnehin jeder weiß. Frauen haben gemeinhin eher Erfolg bei einer Entscheidung, in ihre wirtschaftliche und berufliche Zukunftsplanung das Einkommen des möglichen Partners als Hauptbeitrag miteinzukalkulieren. Und sie tun das natürlich teilweise auch. Das ist erst einmal durchaus legitim. Das eigentliche Problem entsteht erst dann, wenn man aus dieser ursprünglichen Besserstellung gegenüber dem Mann im Nachhinein eine Diskriminierung der Frau konstruiert und eine, im eigentlichen Sinne, bevorzugte Stellung in eine geschlechterbedingte Benachteiligung umdeutet, sobald es um alle langfristigen Folgen der Entscheidung geht.

Möchte unsere Gesellschaft Frauen immer noch nicht zumuten, für die langfristigen Folgen ihrer Entscheidungen selbst verantwortlich zu sein? Diese erweiterte Option ist eine, auf die sich ein Mann im umgekehrten Fall besser nicht verlassen sollte. Vermutlich werden wenigstens neun von zehn Männern, die bei ihrer wirtschaftlichen und beruflichen Zukunftsplanung auf ein Haupteinkommen einer späteren Partnerin bauen, mit einer solchen Strategie maßlos scheitern. Natürlich erklärt dieser Zusammenhang das Equal-Pay-Thema nicht komplett. Es ist allerdings schon ein Vorteil, wenn man solche Aspekte einmal offen zur Diskussion stellt.

Es ist so langsam an der Zeit, den Geschlechterdebatten die Ideologie zu entziehen und Sachlichkeit in den Vordergrund zu stellen. Indirekt könnte der Beitrag von Heide Oestreich ein wichtiger Schritt auf diesem Weg sein. EWALD BECK, Bad Homburg

Deformiert durch Schule

■ betr.: „Die neuen Schulverächter“, taz vom 6. 11. 13

Der Film „Alphabet“ ist sehr pointiert und sichert sich auch nicht rundum wissenschaftlich ab, das bringt das Metier Film ja mit sich, das keine wissenschaftliche Abhandlung sein kann und will. Wenn man aber – wie Bernd Kramer – die fehlenden Beweise bei Aussagen des Films kritisiert, sollte man allerdings an seine eigenen Aussagen die gleichen Maßstäbe anlegen. So setzt Kramer offensichtlich hohe Genialität mit einem hohen IQ-Wert gleich, ziemlich gewagt, würde ich sagen. Wer Zeit hat, unvoreingenommen kleine Kinder zu beobachten, wird immer wieder deren Kreativität und Unangepasstheit bewundern. Nach einigen Jahren Schule ist davon – auch wenn der IQ zugenommen hat – nichts, aber auch gar nichts mehr übrig geblieben.

„Die Intelligenz fällt nicht etwa von Generation zu Generation, sondern steigt tendenziell“, wird im Artikel behauptet. Dem wird wohl keiner widersprechen, wohl aber der These, dass wir immer klüger werden „dank der Schule“ … Wird nicht ein IQ-Wert, der ja – siehe Howard Gardner – ohnehin nur einen sehr kleinen Bereich der menschlichen Intelligenz beschreibt, nicht viel stärker von der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung gefördert? Zum Beispiel der Notwendigkeit, im Verkehr oder mit Handy und PC zurechtzukommen?

Es mag etwas pauschal klingen, wenn im Film gesagt wird, dass Schule im Zweifel dumm und einfallslos mache, das ist vielleicht unfair den Schulen gegenüber, die sich wirklich um einen Aufbruch und einen Neuanfang bemühen. Als ehemaliger Gründer und langjähriger Mitarbeiter eines Berliner Schulversuchs für Schüler mit Schwierigkeiten in der regulären Schule habe ich aber immer wieder feststellen müssen, auf welch schreckliche Weise Jugendliche durch Schule deformiert und ihre Lernbereitschaft aufs Nachhaltigste zerstört werden kann. Insofern kann mir der Film nicht massiv genug sein. HARTMUT GLÄNZEL, Berlin

Das hat System

■ betr.: „Die neuen Schulverächter“, taz.de vom 6. 11. 13

Glaubt jemand, man könne bessere Lernbedingungen garantieren, ohne die personelle Ausstattung zu verbessern und die Klassen kleiner zu machen? Glaubt jemand, es helfe allen Schüler/innen, einfach alles in Projekte zu packen? Ich habe die Schüler/innen bisher so verschieden gefunden, dass einige mit Projekten gut umgehen können, andere wesentlich mehr Struktur und Führung brauchen und viele mal das eine und mal das andere. Und bei 30 „Individuen“ kann ich oft nur nach Mehrheit gehen und die knappe Zeit nach bestem Gewissen zu nutzen suchen. Und für diese Flexibilität darf eine Klasse nicht zu groß sein und muss eine Lehrkraft die Aufmerksamkeit und die Nerven haben. Sonst ist das rein monokausal und akademisch. Jede/n Schüler/in gemäß den jeweiligen Fähigkeiten usw. individuell zu fördern ist ein hehres Ziel, aber dann sagen Sie doch auch, dass das mit 30 bis 32 SchülerInnen pro Klasse menschenunmöglich ist. Precht ist abgehoben, monokausal und ignoriert die 50 Prozent des Bildungsjobs, den die Eltern zum Beispiel gemäß Schulgesetz NRW machen müssen. Wenn die Eltern mitmachen beim mühsamen Geschäft des Lernens und der Hausaufgaben, gibt es in der Praxis wesentlich weniger Probleme. Das hat System und ist keine Frage der Methodik. Schlechte Lehrkräfte gibt es. Fragen Sie doch mal die Schulministerien, wieso da nicht mehr kontrolliert wird. Auch da fehlen die Stellen. Es wäre – wenn gewollt – kein Problem, alle Lehrkräfte regelmäßig zu kontrollieren. Aber das würde die Bedingungen nur in krassen Einzelfällen verbessern. GUIDO-NRW, taz.de