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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Da hüllten sie sich in Schweigen

■ betr.: „Streit der Woche: Kann irgendetwas Versuche an Affen rechtfertigen?“, sonntaz vom 22./23./24. 5. 10

Abgesehen davon, dass die Zeitschrift nature berichtet, dass international inzwischen von Affenversuchen auf Rattenversuche umgeschwenkt wird: Es ist schon seltsam, wie immer wieder mit der vorgeblichen Relevanz für körperliche Einschränkungen wie Parkinson-Syndrom oder Epilepsie geworben wird. Und wie mit dieser Strategie erfolgreich Befürworter eingefangen werden: Siehe die Stellungnahmen von Frau von Renesse (Parkinsonvereinigung) und Norbert von Kampen (Deutsche Epilepsievereinigung). Bis vor ein paar Jahren war es an der Bremer Uni die Relevanz für Parkinson, jetzt ist es Epilepsie, wie gerade so die Gelder fließen und wo man sich gerade so als „Elite“ profilieren kann. Von einem Interesse an Problemen eines humanen Umgangs mit Behinderung war allerdings nichts zu spüren, als unser international renommierter Studiengang Behindertenpädagogik abgewickelt wurde. Da hüllten sich die ach so behindertenfreundlichen Biologen in Schweigen!

WOLFGANG JANTZEN, Osterholz-Scharmbeck

Patriarchale Prägung

■ betr.: „Und führt uns nicht in Versuchung“, taz vom 21. 5. 10

Im Zusammenhang mit den drakonischen Strafen, die in Malawi gegen zwei Schwule verhängt wurden, erwähnt Dominic Johnson die christliche Missionierung des Landes und die antischwulen Gesetze aus der britischen Kolonialzeit. Doch das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit ist: Die afrikanischen Gesellschaften sind patriarchal geprägt. Und: Nachkommen sind wichtig, weil die Familie die Sozial- und Krankenversicherung ersetzen muss. Daher rührt die antischwule Einstellung vieler Afrikaner und ein entsprechendes Verständnis des Christentums, das sich von dem der meisten Protestanten Deutschlands oder Skandinaviens fundamental unterscheidet. JÜRGEN WANDEL, Berlin

Einstellung zur Sexualität ändern

■ betr.: „14 Jahre Zwangsarbeit für schwules Paar“, taz vom 21. 5. 10

Der Bericht über das Urteil, das über die beiden jungen Männer in Malawi verhängt wurde, hat mich zugleich wütend und traurig gemacht. Vierzehn Jahre Zwangsarbeit, nur weil sich zwei Menschen lieben, das ist wahrlich ein untragbar hartes Urteil. Vor allem, wenn man sich die Haftbedingungen in diesem afrikanischen Land anschaut, mit Großraumzellen, in denen katastrophale hygienische Zustände herrschen, in denen Menschen zu Hunderten eingepfercht werden, sodass sich Krankheiten rasch ausbreiten und Gefangene ums Leben kommen. Aber Fälle wie dieser machen auch deutlich, dass die Kirchen dieser Welt dringend ihre Einstellung zur Sexualität ändern müssen, damit solche Urteile nicht weiter scheinbar legitimiert werden können. CHRISTIAN HECKER, Oelde

Tolle Exilliteratur

■ betr.: „Alte Pracht mit neuen Fassaden“, taz vom 22. 5. 10

Das in dem interessanten und informativen Artikel erwähnte Vicki-Baum-Buch zum Thema heißt natürlich nicht „Menschen im Hotel“ sondern „Hotel Schanghai“ (englisch „Shanghai 37“). Es geht um die Biografien von 9 Menschen, die 1937 bei der Bombardierung Schanghais durch die Japaner im Luxushotel Hotel Shanghai getötet wurden. Darunter ein chinesischer Millionär, ein Rikschafahrer, ein Jude aus Berlin, der daselbst mal Arzt gewesen und nach Schanghai geflohen war, eine Russin, die sich als Aristokratin ausgab (1917 war damals so lange her wie heute die Wende) und mehr. Das ist tolle Exilliteratur. „Menschen im Hotel“ hat Vicki Baum auch geschrieben, aber das spielt in Europa und ist harmlos dagegen.

SIBYLLE GILLABERT, Hamburg

Unberechtigte Verwahrung

■ betr.: „Aus Prävention wird Strafe“, taz vom 20. 5. 10

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat also „eine falsche Entscheidung“ getroffen, so Christian Rath. Die Sicherungsverwahrung sei keine Strafe, sondern Vorbeugung und daher zulässig. Zuerst zitiert Rath den Psychiater Leygraf, der sagt, dass man zehn Menschen einsperren muss, um einen wirklich gefährlichen festzuhalten. Das Problem kann man auch nicht mit „besseren Haftbedingungen“ lösen, wie Rath dies dann vorschlägt und dabei von „vorsorglicher Inhaftierung“ spricht. Haft geht aber einher mit Strafe, eine Maßregel wird vollzogen und die Person untergebracht (und eben nicht „inhaftiert“). Tenor des Beitrages ist also: Im Zweifel erst mal wegsperren, dann in Watte packen, schöne neue Anstalten bauen, und schon ist das Problem erledigt.

Dass wir fast 50 Jahre ohne dieses sehr zweifelhafte und vom EGMR jetzt zu Recht kritisierte Instrument ausgekommen sind (wie übrigens fast alle anderen europäischen Länder auch), wird ebenso verschwiegen wie die Tatsache, dass eben nicht nur Mörder in der Sicherungsverwahrung sitzen – im Gegenteil, sie machen die Minderheit aus. Und wenn dann (zu) viele unberechtigt dort verwahrt werden, scheint das für Rath auch kein Problem zu sein. Denn immerhin hat eine Studie der Ruhr-Universität Bochum aus dem letzten Jahr gezeigt, dass weniger als 5 Prozent der als „gefährlich“ vom Strafvollzug eingestuften und teilweise auch von Gutachtern so prognostizierten Gefangenen tatsächlich einschlägig rückfällig wurden.

THOMAS FELTES, Schwerte