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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Warnung eines Salonsozialisten

■ betr.: Morgendlicher taz-Diebstahl

Lieber taz-Klauer, mein morgendlicher Lesehunger und Wissensdurst wird regelmäßig dadurch nicht gestillt, dass mir die Zeitung von der Haustür weggeklaut wird. Der materielle Schaden lässt mich dann irritiert in der Bahn in das trostlose Morgengrauen drinnen und draußen blicken anstatt in die Zeitung. Der psychologische Schaden wiegt schwerer: Als Salonsozialist begrüße ich zwar die antikapitalistischen Tendenzen der taz, mutiere aber zum reaktionären Misanthropen, sobald das linke Gedankengut die Straße erreicht und die sich bis dahin noch in meinem Besitz befindliche taz quasi verstaatlicht wird. In deinem eigenen Interesse appelliere ich daher an dich, lieber Zeitungsklauer, mir die taz und mein linkes Engagement zu lassen und dich daher davor zu bewahren, eines Tages von mir hinter der Tür mit der eisernen Faust der besitzwahrenden Klasse niedergestreckt zu werden. JAN-HENRY WANINK, Münster

Aus dem Arsenal des Kalten Kriegs

■ betr.: „Die wollen den Staat kapern“, taz vom 22. 5. 10

Bezeichnend für den jetzigen Zustand der Grünen ist ja wohl, dass ein erklärter Vertreter des „linken Flügels“, Robert Zion, der noch im Vorfeld der Wahlen in Nordrhein-Westfalen nicht müde wurde, vor Schwarz-Grün zu warnen und die verfehlte Rüttgers-Politik zu desavouieren, jetzt den Ausputzer spielen durfte, um mit geradezu schwachsinnigen Argumenten aus dem Arsenal des Kalten Kriegs den Abbruch der Koalitionsverhandlungen zu rechtfertigen. Warum dieser Eifer? Ei, ei, die Antwort ist, die Linken wollten den Staat kapern. Auch vielen Wählern von SPD und Grünen ging es um eine Politikwende hin zu mehr sozialer Gerchtigkeit und Menschenwürde in Arbeit und Beruf, weg von Bespitzelung und Ausforschung des Privatlebens. Robert Zion selbst hat sich noch im Januar in der Linken-Zeitung Neues Deutschland über die „Normalisierung der Partei“ mokiert und sie etwas geschwollen als „mediale Veroberflächlichung“ charakterisiert. Sein Artikel endet mit dem flammenden Bekenntnis: „Wir müssen radikaler werden.“

Ich bin seit fast dreißig Jahren Mitglied dieser Partei und bisher noch nicht ausgetreten, aber angesichts dieser Wählerverarschung werde ich ernsthaft darüber nachdenken. KLAUS BECKER, Dortmund

Unehrliche Schuldzuweisung

■ betr.: „Rot-Grün zieht Schlussstrich in NRW“, taz vom 22. 5. 10

Wäre es nicht ehrlicher gewesen, Frau Kraft hätte vor der Wahl dazu gestanden, dass sie Angst hat vor der Übernahme von Regierungsverantwortung unter Eigenregie? Sich nun mit fadenscheinigen Gründen in den Schoß der von den Wählern abgestraften CDU zu begeben, zeugt bei ihr selber von einem Demokratieverständnis, das den Wählerwillen auf die Landtagswahl reduziert. Die Schuld für die eigene Schwäche anderen in die Schuhe zu schieben, ist unehrlich. Das Scheitern an der Forderung nach festgelegten demokratischen Glaubensbekenntnissen festzumachen, ist starr und dumm. Vielleicht ist es gut, wenn diese Frau nun nicht Ministerpräsidentin wird. STEPHAN SCHULZ, Konstanz

Gott behüte Mockus

■ betr.: „Mit dem Arsch nach oben. Antanas Mockus will der erste grüne Präsident Kolumbiens werden“, sonntaz v. 22./23./24. 5. 10

Intellektuelle und Idealisten sehnen sich nach einem besseren Kolumbien. Auch ich, als Deutsche, die ich seit nunmehr fünf Jahren in Bogotá lebe und an der Deutschen Schule unterrichte, sehne mich nach einem Kolumbien ohne Korruption, ohne Vetternwirtschaft und dafür ein Land mit Bildung und Transparenz. Es ist ein friedlicher Wahlkampf, den Antanas Mockus führt – aber er kämpft gegen einen mächtigen Teil der Gesellschaft, der die Korruption befürwortet und fördert und sich somit selbst zu immer wieder neuen Reichtümern und besseren sozialen Stellungen verhilft. Dass der Wahlkampf, den andere Präsidentschaftskandidaten betreiben, gar nicht friedlich ist, sondern mit Methoden wie Einschüchterung und Erpressung auf Stimmenfang gegangen wird, darüber möchten nur wenige sprechen – aus Angst. Mockus bedeutet Hoffnung – wie auch einst die Präsidentschaftskandidaten Gaitan und Galán. Was mit ihnen geschehen ist, ist bekannt: Sie wurden ermordet. Gott segne und behüte Mockus. IRA MARSCH, Bogotá, Kolumbien

Bis das Hochwasser kommt …

■ betr.: „Mit Gott gegen die Naturgewalt“, taz vom 25. 5. 10

Es ist wohlfeil, immer dann, wenn ein Hochwasser zuschlägt, auf die Versäumnisse vor Ort loszudreschen und Schlamperei zu beklagen. Wann sonst auch: Nur dann – so die immergleiche Begründung – ist die nötige mediale Aufmerksamkeit vorhanden (und nur dann kann mit der Nachricht auch Geld verdient werden). Leider fehlt regelmäßig das Medieninteresse, wenn zwar kein Hochwasser ist, aber die politischen Entscheidungen vor Ort getroffen werden: Sollen flutgefährdete Flächen bebaut werden? Soll dem Fluss wieder Raum gegeben werden? So auch in Köln, der selbsternannten „Hochwasserhauptstadt“ Europas: riskante Neubauten im Gefahrengebiet und krasse Fehlentscheidungen bei der Sicherung von Retentionsräumen – das ist der Alltag. Und weil es lange kein schlimmes Hochwasser gab, schweigen die Medien. Sie loben die weitsichtige Sicherung der Wirtschaftskraft der Region. Nicht nur in Köln. Überall. Bis das Hochwasser wieder kommt? THOMAS KAHLIX, Köln