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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Die Rechte der Opfer

■ betr.: „Die vergessenen Gefangenen. Gedenkstätte erinnert an KGB-Gefängnis“, taz vom 10. 7. 10

Als 19-Jähriger habe ich 1952 die Schrecken des KGB-Gefängnisses Leistikowstraße 1 in Potsdam erlebt: total recht- und schutzlos ausgeliefert, ohne jeden Kontakt zur Außenwelt, unter ständigem Schlafentzug, mit häufigen Drohungen bei stundenlangen, zermürbenden, nächtlichen Verhören („Wir können mit Ihnen machen, was wir wollen!“, „Wir können Sie auch gleich erschießen!“). Die Urteile gegen fünf gleichaltrige ehemalige Schulkameraden, mich und einen Unbekannten lauteten: Viermal „Tod durch Erschießen“, dreimal je „25 Jahre Arbeitslager“. Drei der Todesurteile wurden am 23. 10. 1952 in Moskau vollstreckt. Den Angehörigen wurde 1959 offiziell mitgeteilt, ihre Söhne seien am 23. 10. 1954 (kein Druckfehler!) in der Sowjetunion verstorben. Im Abschlussbericht der russischen militärischen Hauptstaatsanwaltschaft von 1996 heißt es dann: „In der Sache finden sich keine tatsächlichen Beweise für die Ausübung von Spionage oder anderen ungesetzlichen Handlungen, wegen denen sie verurteilt wurden.“ Alle sieben unterliegen der Rehabilitierung.

Unter dem Vorwand besonderer wissenschaftlicher Sorgfalt versucht die Leiterin der Gedenkstätte, Frau Dr. Reich, durch Konzentration auf nebensächliche Details und Randerscheinungen die wesentlichen Merkmale des KGB-Gefängnisses, das von den Sowjets begangene Unrecht und den Terror, zu verharmlosen und zu verdecken. Reich in den PNN vom 5. 11. 09: „Das Gebäude ist das Hauptexponat.“ In der FAZ vom 2. 11. 09 („Bürgerliche Fassade“) wird in Bezug auf die Häftlinge nur vermerkt, sie seien nachts verhört und in einer Kapelle verurteilt worden und hätten ihre Strafe im Gulag abgesessen. Mit keinem Wort wurden die unmenschlichen Haftbedingungen, die Missachtung aller Rechtsnormen und die exorbitant hohen Strafen erwähnt.

Man kann den ehemaligen Häftlingen nicht vorwerfen, sie seien zu sehr auf ihr eigenes Schicksal fokussiert, wenn sie sich nur einfach wehren. Die Sprecherin des Brandenburger Kultusministeriums, Frau Grabley, sollte zur Kenntnis nehmen, dass das Schicksal der Opfer ein ganz zentraler Punkt der Geschichte dieses Gebäudes ist. Als Aufgabe der Stiftung wird in ihrer Satzung an vorderster Stelle bestimmt: „Der Zweck der Stiftung besteht darin, an das im ehemaligen Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes in der Leistikowstraße 1 in Potsdam geschehene Unrecht und die Opfer zu erinnern.“ Ich denke, wir Opfer haben das Recht, dafür einzutreten, dass auch dieser Aspekt der politisch-historischen Aufarbeitung unserer Vergangenheit nicht verloren geht. HANS GÜNTER AURICH, Marburg

Beispielhaftes Berlin

■ betr.: „Steuereinnahme auf Höchststand. Berlin schwimmt im Geld“, taz vom 20. 7. 10

Ist doch toll, wenn Berlin bei höheren Steuereinnahmen weniger aus dem Länderfinanzausgleich beantragen muss! Von jedem Hartz-IV-Empfänger wird so eine „Mitwirkung“ an der Einnahmenverbesserung erwartet, damit die Solidargesellschaft weniger „ausgleichen“ muss. Berlin ist beispielhaft! Küsschen, Küsschen, Küsschen!

HEIDEMARIE WÄTZOLD, Berlin

Ausnahme bestätigt traurige Regel

■ betr.: „Rückschlag für die Polizei“, taz vom 14. 7. 10

Es waren, sind und bleiben keine Ausnahmen, wie uns immer wieder vonseiten der Politik und der Sicherheitsbehörden bedeutet wird, wenn vonseiten der Uniformierten bei Demos und bei anderen Anlässen (außerhalb des Straßenverkehrs und der täglichen Kleinarbeit als Streife) oft ohne Rechtsgrundlage und jedwede Verhältnismäßigkeit physische oder psychische Gewalt angewendet wird. Die sogenannten Ausnahmen bestätigen die traurige Regel. Die Realität, insbesondere bei den „geschlossenen Einheiten“ ist eben Gewaltausübung mit allen Konsequenzen für die Betroffenen zivilen Opfer bei gleichzeitig höchstmöglichem Schutz vor rechtlicher Verfolgung der Straftaten im Amt. Diese Regel ist, wenn auch offiziell nicht gewollt, so doch mindestens gern geduldet vom Gesetzgeber. Sie dient eben der Machtausübung eines hochgerüsteten Staats gegenüber der eigenen Bevölkerung, zur Einschüchterung in der politischen Auseinandersetzung oder zur Interessenswahrung der Privatwirtschaft, sowie einer persönlichen Befriedigung diverser Beamter im Dienst. Die, die anderes behaupten, haben in diesem Land wahrscheinlich noch nie ihr Recht auf Protest oder zivilen Ungehorsam in Anspruch genommen und damit auch nie eine wesentliche Erfahrung von Demokratie geteilt und erlebt.

Wir benötigen dringend eine öffentliche Diskussion darüber, und ich mag es nicht mehr hören, mit welch bestechend blöder Logik die Kennzeichnungspflicht der staatlichen „Kampfgruppen“ immer wieder und weiter hinausgezögert wird. T. KRETSCHMANN, Berlin