LESERINNENBRIEFE :
Wozu der Seitenhieb?
■ betr.: „Streberland bleibt Streberland“, taz vom 28. 4. 11
„Das Professorenkind reüssiert am klassischen Gymnasium, Ahmed nach der mittleren Reife am beruflichen Gymnasium.“ Was soll die Häme, wozu der Seitenhieb gegen „Ahmed“?
Ich habe in über 35 Jahren am sozialwissenschaftlichen, wirtschaftswissenschaftlichen – und bis vor Kurzem auch technischen – Gymnasium unzählige „Ahmeds“ (und „Irinas“!) zur (bundesweit anerkannten!) Allgemeinen Hochschulreife geführt und behaupte, diese SchülerInnen haben sogar eine weitaus breitere Qualifikation als „das Professorenkind“; denn sie bewältigen neben dem normalen Oberstufenlehrplan in den drei Jahren nach der Realschule auch noch schwierigste Anforderungen in ihren jeweiligen Profilfächern. Und das vor oft – im Vergleich zum „Professorenkind“ – wirklich nicht einfachem familiärem Hintergrund!
LUISE TEUBNER, Friesenheim
Freiheit für alle
■ betr.: „Stütze für alle“ von Mathias Greffrath, taz vom 27. 4. 11
Zu der Veranstaltung, die Herr Greffrath kritisiert, kann ich nichts sagen, da ich nicht dabei war. Er vermischt ohnehin die Kritik an einer Veranstaltung mit der Idee, die auf dieser Veranstaltung präsentiert wurde. Es wäre seriös, das zunächst mal auseinanderzuhalten. Auffällig ist zudem, dass Herr Greffrath die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens nicht verstanden hat. Wie sonst könnte er permanent behaupten „Freiheit“ sei hier nichts anderes als eine „verallgemeinerte Sozialhilfe“? „Freiheit“ wird von ihm immer wieder und fälschlicherweise als Synonym für den Begriff „Stütze“ verwendet und gedacht! Aber der Slogan heißt eben nicht zufällig „Stütze statt Vollbeschäftigung“, sondern „Freiheit statt Vollbeschäftigung“! Das sollte man ernst nehmen und verstehen und erklären wollen, statt in die nicht weniger propagandistische Behauptung zu verfallen, das sei faktisch identisch.
Im Übrigen entspringt der Slogan „Freiheit statt Vollbeschäftigung“ nicht „Ulrich Becks semantischem Schatzkästchen“, sondern geht auf die Gründer der gleichnamigen Initiative in Frankfurt zurück.
ANDREAS HÖRMANN, Frankfurt am Main
Bitte Gegenvorschläge
■ betr.: „Stütze für alle“ von Mathias Greffrath, taz vom 27. 4. 11
Vielleicht gibt es bessere Möglichkeiten, unsere zukünftigen Aufgaben in der Arbeitswelt zu lösen, als mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Aber dann sollten bitte Gegenvorschläge auf den Tisch.
Wie wollen wir, um nur ein Beispiel zu nennen, in der Automobilindustrie den Wechsel zum Elektroauto voranbringen? Bei diesem Umstieg werden tausende Arbeitsplätze nicht nur in der Automobilindustrie selber, sondern auch in der Zulieferindustrie verloren gehen. Hier werden sowohl die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite gegen den Verlust der Arbeitsplätze ankämpfen. Mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen wäre zumindest der Lebensunterhalt abgedeckt, und es wäre der Boden bereitet, um kreative, zukunftsfähige Arbeitsplätze aufzubauen.
Wie wollen wir die ungleiche, ungerechte Bezahlung der Frauen in der Arbeitswelt erfolgreich bekämpfen? Mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen wäre zumindest der Grundstock für alle gleich. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel.
KARL-HEINZ SCHLENKER, Balingen
Leben in Würde und Freiheit
■ betr.: „Stütze für alle“, taz vom 27. 4. 11
„Arbeit ist Pflicht. (…) Zwar droht dem Langzeitarbeitslosen keine Gefängnisstrafe, aber Sanktionen wie sinnlose 1-Euro-Jobs, sinnlose Schulungen oder Einkommenskürzungen werden von den so Bestraften nicht als grundsätzlich anders erlebt. Sie dürfen sich nicht frei bewegen, müssen jede Art schlecht bezahlter Zwangsarbeit leisten und Details aus ihrem Privatleben offenlegen. Das ist beschämend und würdelos in einem der reichsten Länder der Welt. Erwerbslose werden faktisch ihrer Grundrechte beraubt, die der Staat laut Grundgesetz eigentlich nur im Fall einer Straftat einschränken darf. Wie gesagt: Hartz IV ist offener Strafvollzug!“ (Zitat aus: Götz W. Werner/Adrienne Goehler: „1000 Euro für jeden“, S. 97).
Allein dieser kurze Textausschnitt zeigt, wie wichtig das Projekt eines Bedingungslosen Grundeinkommens doch ist, das dem Menschen ein Leben in Würde und Freiheit garantiert. Und denkt man an Art. 1 des Grundgesetzes, so ist es nur diese Lösung des Dilemmas der Arbeitslosigkeit, die den Betroffenen Mut macht, sich ihrer eigenen Kreativität zu bedienen, welche denn auch angesichts Art. 20 I des Grundgesetzes tatsächlich sozialstaatskompatibel ist.
Wer glaubt bei Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens in der von den Autoren propagierten Höhe würde sich die gesellschaftliche Mehrheit in die „soziale Hängematte“ legen, der hat ein falsches Welt- und Menschenbild.
Erst ein wirklich Bedingungsloses Grundeinkommen in ausreichender Höhe, um auch die notwendige kulturelle Teilhabe zu sichern, stellt sicher, das jeder Mensch, in welche Situation er gesellschaftlich auch gestellt sein mag, sein Humanpotenzial (das wahre und einzige Kapital dieser bundesrepublikanischen Gesellschaft) auch wahrhaft zu entfalten vermag. Alle Einwände gegen das Bedingungslose Grundeinkommen sind nur neidreflexhaft bedingt und verfehlen das wahre Ziel einer postkapitalistischen Gesellschaft: gleiche und faire Start- und Lebenschancen zu bieten.
MICHAEL HEINEN-ANDERS, Köln