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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Sucht und Trauma

■ betr.: „Macht es legal“, „Der Kampf gegen Drogen ist gescheitert“, taz vom 3. 6. 11

Diese beiden Berichte sprechen mir aus der Seele und ich habe gemerkt, welche Hoffnungen wieder in mir aufkeimen. Ich bin selbst heroinabhängig und meine Hauptangst ist die Gefahr, mich ungewollt durch allzu reines oder tödlich-toxisch gestrecktes Heroin umzubringen. Die Möglichkeit, legal sauberes Heroin in einer individuell auf den Konsumenten eingestellten Dosis zu bekommen, würde diese Gefahr bannen und die Zahl der Drogentoten würde drastisch zurückgehen. Auch würden Beschaffungskriminalität und Prostitution abnehmen; es wäre möglich, ein geregeltes Leben zu führen, in dem sich nicht alles um die Drogenbeschaffung dreht.

Und ich wünsche mir, dass es weitergeht: Viele Drogensüchtige sind nach Entgiftung und stationärer Therapie recht schnell wieder rückfällig geworden, weil die nun notwendige Bearbeitung der Gründe für den Drogenkonsum nicht erfolgen konnte; bei mir wurde der Empfehlung zu einer weiterführenden Traumatherapie durch die Krankenkasse nicht entsprochen.

Es ist in vielen Studien bereits belegt, das Heroinkonsum oft eine Selbstmedikation von traumatisierten Menschen ist, die keine andere Möglichkeit gefunden haben, ihre durch Kindheitstraumata verursachten Depressionen und Ängste zu bekämpfen. Erst nach Behandlung dieser Traumata, zum Beispiel mit EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), was bei aus dem Afghanistankrieg zurückgekehrten, traumatisierten Soldaten angewandt wird, entfallen die Gründe für die Selbstmedikation durch Drogen und ein cleanes Leben wäre möglich. Ich würde mir sehr wünschen, dass es mal ein taz-Thema „Sucht und Trauma“ geben möge, das sich in aller notwendigen Ehrlichkeit und Ausführlichkeit mit diesem schwierigen Thema auseinandersetzt. *Name ist der Redaktion bekannt

Dein Arzt, der Dealer

■ betr.: „Macht es legal“, taz vom 3. 6. 11

Der Kampf gegen Drogen ist weltweit gescheitert, deutschlandweit ist er höchstens halbherzig, inkonsequent und häufig unehrlich.

Als Hausarzt unter anderem mit dem Schwerpunkt Drogenersatzbehandlung beschäftigt mich die medizinische und auch gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit diesem Thema seit über zwanzig Jahren. Immer wieder erlebe ich den Tretmühleneffekt von Sucht und ihren Folgeerkrankungen. Auch wenn ich davon lebe, diese Patienten ärztlich zu behandeln und zu betreuen und damit auch selbst von der Illegalität profitiere, da nur dann ärztliche Ersatzbehandlung indiziert ist, halte ich eine weitgehende Legalisierung aller Drogen für geboten. Prohibition ist ein schlechter Ratgeber.

Was kann sich durch liberaleren Umgang mit diesen Substanzen ändern? Weltweit würden die Märkte zusammenbrechen und die überwiegend dunklen Geschäfte zum Erliegen bringen. Ich befürchte nicht, dass die Anzahl suchtkranker Patientinnen und Patienten erheblich steigen würde. Meine eigene Klientel hätte die Chance, krankmachende Szenekontakte und krankheitsbringenden Suchtgebrauch einzustellen. Die psychische Deformierung dieser Menschen geschieht weniger durch die Substanzen als durch die Folgen der Illegalität, welche immer wieder zu oft langjährigen Haftstrafen führt, die oft nur deshalb angetreten werden müssen, weil die Geldstrafen nicht bezahlt werden können. Die klandestinen Gebrauchsmuster führen zu langwierigen und gefährlichen Erkrankungen.

Die Behandlung mit Drogenersatzstoffen hat erhebliche Fortschritte bezüglich der Anzahl der Drogentoten erreicht, bedarf aber dringend einer weiteren Freigabe und liberalerer Vergabepraxis. Ein Großteil der Kolleginnen und Kollegen in der Substitution führt diese Arbeit seriös und aufmerksam durch, aber die gesetzlichen Strukturen verleiten auch im ärztlichen Bereich zum Aufbau regelrechter Dealerpraxen ähnlich der illegalen Verkaufsszene.

Das ganze Verfahren ist viel zu umständlich. Frankreich hat zwar illegale Drogen nicht legalisiert und plant das auch nicht, aber jeder Hausarzt kann die erforderliche Menge eines Ersatzstoffes sozusagen für den Hausgebrauch verordnen, was beispielsweise im Saarland zu grenzüberschreitenden Besuchen seitens der deutschen Patienten in französischen Hausarztpraxen führt. Dies hat die Todeszahlen der französischen Drogenabhängigen noch einmal erheblich reduziert.

Aufhebung der restriktiven Vergabepraxis und Legalisierung fördern psychische und physische Gesundheit von Süchtigen würden die deutschen Gefängnisse zu 50 bis 70 Prozent leeren und hätten außer erheblichen volkswirtschaftlichen Vorteilen auch den Vorzug, dass Mündigkeit auch für andere Drogen als für Alkohol und Zigaretten unterstellt wird. Die Gefahr des Alkoholkonsums wird im gesellschaftlichen Konsens deutlich unterschätzt ganz im Gegensatz beispielsweise zur fast panikartigen Überbewertung gelegentlichen Cannabiskonsums. STEPHAN SCHÖLZEL, Troisdorf

Tote zählen

■ betr.: „Ehec-Seuche: Warnung vor Sprossen“, taz vom 6. 6. 11

Eine neue Seuche, ein neuer Hype. Es ist richtig, zur Vorsicht zu mahnen und zum Blutspenden aufzurufen, aber dieses Zählen von Toten und Kranken und Schwerstkranken ist eklig sensationslüstern und schürt nur die Angst (die ja bekanntlich das Immunsystem schwächt). Warum macht ihr das mit? Guter Journalismus wäre, wenn Vergleichszahlen geliefert würden: Wie viele Menschen sind im selben Zeitraum an anderen Darminfektionen erkrankt und gestorben, wie viele an ganz „normalen“ antibiotikaresistenten „Krankenhauskeimen“, die lieber totgeschwiegen werden?

SABINE MIEHE, Marburg