LESERINNENBRIEFE :
Fieses Getue um Ballack
■ betr.: „Ein Leitwolf wehrt sich“, taz vom 21. 6. 11
Was ist das für ein fieses Getue um einen Ausnahmefußballer wie Michael Ballack, leider auch bei euch. Wer hat ihn den zum „Capitano“ hochstilisiert, das wart doch ihr, die Sportjournalisten, und just als er es war und sich traute, den Mund aufzumachen, begann die Ära Löw. Diese Ära ist geprägt von einem Team um einen Bundestrainer herum, dessen allentscheidendes Auswahlkriterium die größtmögliche Anpassung, sprich Unterordnung ist.
Der Trainerstab hat sich ein Team von Duckmäusern ausgesucht. Was dann auch erklärt, dass Spieler, die nicht unbedingt in der Liga glänzen, weiterhin das Vertrauen des Stabs genießen. Andere, die sich benachteiligt fühlen, taktieren ganz vorsichtig, weil sie wissen, dass es das Aus bedeutet, wenn sie den Mund aufmachen (siehe das Kapitel Kevin Kurani).
Der Gipfel allerdings ist das Angebot zu einem Abschiedsspiel gegen Brasilien. Was soll Michael Ballack denn da, wenn er doch nicht mehr in die Spielphilosophie passt, wie soll er denn als Fremdkörper mitspielen? Mag sein, dass er über seinen Zenit hinaus ist. Der Rauswurf aus der Nationalmannschaft zum jetzigen Zeitpunkt ist einfach nur schäbig.
Selbst wenn er in der nächsten Saison einen „Wunderfußball“ spielen würde, kein Hahn kräht mehr nach ihm, wenn die Nationalmannschaft weiter gewinnt. Und wenn nicht? Aber auch das hat das Taktikerteam um Löw bestimmt einkalkuliert, und die Sportjournalisten, leider auch du, Markus Völker von der taz, spielen mit.
Die Deutsche Presse liebt es, Sportler zu Helden hochzustilisieren, aber noch mehr liebt sie es, sie dann, wenn sie Schwäche zeigen, gnadenlos zu demontieren.
Ich bin Michael Ballack dankbar dafür, dass er das Gnadenbrot des DFB nicht annimmt und den allmächtigen Machern dort doch wenigstens das verdiente schlechte Gewissen lässt. Für die nächste Saison wünsche ich ihm viel Erfolg und bedanke mich für die vielen herausragenden Spiele, die ich als nunmehr über 50 Jahre interessierte Fußballguckerin von ihm in der Nationalmannschaft gesehen habe. HILDE THEOBALD, Saarbrücken
Mein Haushalt steht vor der Pleite
■ betr.: „Gott muss ein Grüner sein“, taz vom 6. 6. 11
Hallo Frau Merkel, als ich kürzlich in einem taz-Artikel über die Formulierung „die Kanzlerin aller Deutschen“ stolperte, ging bei mir eine alte 100-Watt-Birne an! Ja, wenn Sie gar nicht nur für Spanier, Irländer, Portugiesen und natürlich Griechen, sondern auch für Deutsche zuständig sind, dann ja wohl auch für mich.
Ich habe nämlich ein ähnliches Problem wie die oben genannten: Mein Haushalt steht immer kurz vor der Pleite. Die bedrohliche Krise wurde durch die Heizölrechnung ausgelöst, die ich nicht mehr aus eigener Kasse bezahlen kann. Ich fühle mich aber gänzlich unschuldig, denn ich habe nichts anderes gemacht, als die letzten zwanzig Jahre auch, nämlich meine Familie mit Essen versorgt, die Wäsche sauber gehalten und in Haus und Garten gewerkelt.
Mein Mann ist Angestellter bei der Stadt, und mit dem Verdienst kamen wir immer gerade so über die Runden, das heißt, dass wir halt gezwungenermaßen nach und nach unseren Lebensstandard gesenkt haben, wie es auch immer wieder in den Kommentaren zu den Folgen der Kürzungen sozusagen ausgeschildert wurde („Abstiegsängste“).
Realiter hat man das Theaterabo gekündigt, tritt beim Alpenverein aus, BRK, Tennisklub, kauft kein T-Shirt mehr über 15 Euro, fährt eine rostige Klapperkiste (weil Schrottprämien an all die gezahlt werden, die sich sogar ein neues! Auto leisten können), greift beim Essen auch zum Billigzeug mit MHD-Verfall, und macht einmal im Jahr zehn Tage Urlaub in Kroatien, im alten Zelt, das leider wie jedes Mal dem Wolkenbruch nicht ganz standhält, sodass man dann die Hälfte der Woche mit Waschen und Trocknen beschäftigt ist. In der Zeit hasse ich Euch (ja „Euch“!) am meisten, denn ich würde mich einfach gern mal erholen, man wird ja auch nicht jünger.
Dank der ständigen Präsenz des Euromilliardenthemas in den Medien kann ich nicht umhin, immer wieder auch meinen Platz in diesem Europa zu reflektieren. Ich als Einzelner bin auch mein Leben lang von anderen regiert worden: der Mauerfall wurde beschlossen und finanziert, der Euro eingeführt mit all den damit verbundenen Kosten, Regierungsumzug nach Berlin, der Kauf der Hypo Alpe Adria, die Bankenkrise, was auch immer geschah und etwas kostete, es wurde kompromisslos umgelegt: Zuschläge erhoben, Bezüge gekürzt, Anhebungen gestrichen.
Für uns bedeutet das mittlerweile, dass wir etwa die Hälfte des Einkommens schon jeden Monat als Fixkosten abführen: Versicherungen (Riester, Krankenzusatz, Kfz, Haftpflicht), Strom, Müll, Grundsteuer, Fahrkarte, GEZ, Kabel, Telefon etc., ein Monatsgehalt (netto) geht fürs Schulgeld drauf. Wissen Sie, was ich besonders witzig finde? Dass wir jeden Monat 600 Euro Krankenkasse überweisen, aber ich, obwohl ich schlecht sehe, meine verkratzte, zehn Jahre alte Brille nehmen muss, weil eine neue den Urlaub kosten würde.
Und während ich meine neuen Möbel aus dem Sperrmüll fische, abschmiergele, streiche und mit der Galle kämpfe, die mir immer wieder hochkommt, weil ich sehen muss, dass unsere bescheidenen Anlagen (was wir geerbt hatten) entwertet wurden und unerbittlich nach und nach geopfert werden mussten, kristallisiert sich die granitene Mitte meiner Unzufriedenheit heraus: Ich hasse Euch, weil Ihr uns den Fortschritt genommen habt!
Wir sind jetzt ärmer als noch vor zehn Jahren. Des Menschen Existenz in unserer Gesellschaft verlangt aber nach Weiterentwicklung, Progression, Verbesserung, und da gähnt bei uns ein düsterer Abgrund. Denn in aller Gemütsruhe habt Ihr verfügt, dass wir da kein Anrecht drauf haben, wegen Eurer Raffgier. IDA LÖW, Aichach