LESERINNENBRIEFE :
Druck erhöhen ist falsches Rezept
■ betr.: „Ohne den Druck der EU wird sich Serbien nie verändern“, taz vom 29. 7. 11
Bei Verhandlungen in diesem Jahr habe die serbische Seite „bei allen wichtigen Punkten“ gegenüber der kosovarischen blockiert, vermutet Erich Rathfelder wahrscheinlich richtig. Er empfiehlt, dass die EU den Druck auf Serbien erhöht. Erhöhter Druck auf Serbien kann aber unerwünschte Folgen haben: Er könnte in Serbien zu einer Stärkung des Nationalismus und zu einer Schwächung demokratischer Institutionen führen. Deshalb bezweifle ich, dass Druckerhöhung das richtige Rezept ist.
Um die serbisch-kosovarischen Verhandlungen zu Gunsten der betroffenen Menschen erfolgreicher zu machen, könnten die Spitzen der EU und ihrer Mitgliedsländer aus meiner Sicht dennoch wichtige Beiträge leisten:
– Verzicht darauf, derzeit in der EU lebende Menschen zwangsweise nach Serbien oder Kosovo zurückzuschicken;
– Anerkennung, dass der Bombenkrieg gegen Rest-Jugoslawien 1999 unverhältnismäßig und rechtswidrig war. Diese Anerkennung könnte es vielen Menschen in Serbien erleichtern, noch heute spürbare Schäden des Krieges an Umwelt und Gesundheit zu ertragen und pragmatischen Regelungen mit Kosovo zuzustimmen.
CLEMENS NIEMANN, Herford
Folgen des Irrwegs
■ betr.: „Sicherheit. PKK bekommt ein neues Terror-Stigma“,taz vom 30. 7. 11
Christian Rath schreibt: „Zuletzt hatte es einen Waffenstillstand und inoffizielle Verhandlungen zwischen PKK und türkischem Staat gegeben. Mitte Juli tötete die PKK jedoch 13 türkische Soldaten und sorgte für neue Spannungen.“ So entsteht der falsche Eindruck, dass der Waffenstillstand beidseitig gewesen sei und die jetzige Eskalation allein durch die PKK verursacht worden wäre.
Es ist doch eher umgekehrt: Die PKK hatte im Sommer 2010 einseitig einen Waffenstillstand bis nach den Wahlen im Juni 2011 erklärt. Die türkische Regierung hat diesen Schritt wie üblich ignoriert beziehungsweise mit fortwährender Offensiv-Kriegführung gegen die kurdischen Rebellen beantwortet. Gleichzeitig wurde die Verhaftungswelle gegen zivile kurdische PolitikerInnen und AktivistInnen fortgesetzt. Wer sich für die Rechte der Kurden einsetzt, wird von Gerichten und Polizei als „Unterstützer des Terrorismus“ verfolgt.
Die jetzige Eskalation der Kämpfe ist Folge dieses Irrwegs. Die seit Mitte Juli laufende Offensive der iranischen Armee gegen die Camps der kurdischen Guerilla in Kandil im Nordirak sorgt für eine weitere Verschärfung der Lage, unterstützt von der Türkei und wohl auch den USA. ULF PETERSEN, Köln
Projekt Europa sichert den Frieden
■ betr.: „Die Geister des Egoismus“ von José Ignacio Torreblanca, taz vom 1. 8. 11
In der Tat wird die Politik Europas zunehmend von Wirtschaftsliberalen bestimmt; folglich wachsen auch die sozialen Unterschiede zwischen und innerhalb seiner Mitgliedstaaten, was dem (sozialen) Frieden in der Union nicht gerade förderlich ist. Dieser Entwicklung muss mit aller Entschiedenheit entgegengewirkt werden, damit die Europäische Union zu retten ist und nicht auseinanderfliegt. Warum dies so wichtig ist? Aus einem einzigen Grund: Das Projekt Europa wurde ins Leben gerufen, um den Frieden auf diesem Kontinent dauerhaft zu sichern. Dies darf niemals vergessen werden.
BERND-MICHAEL KABIOLL, Berlin
Aufklärung, aber ohne Demagogie
■ betr.: „Aufklärung, ganz radikal“, tazzwei vom 1. 8. 11
Aufklärung ganz radikal? Dann aber bitte ohne Demagogie. Wer verschiebt die Mitte der Gesellschaft „aus der heraus sich dann vielleicht neue islamophobische Christenmenschen – erheben“? Da muss es doch Namen oder Bezeichnungen geben, die überprüfbar sind. Wieso sind Vergleiche mit dem Antisemitismus nicht möglich?
Der Autor lese Noetzels und Welzers Studie „Soldaten“ (Auswertung von Gesprächsprotokollen von Soldaten des Zweiten Weltkriegs) oder zu einer Zeit deutlich vorher Baumans „Moderne und Ambivalenz“ (Entwicklung des Antisemitismus im Kaiserreich und der Weimarer Republik) dazu, dass selbst brutalste Ausgrenzungsmechanismen ihre kulturelle und soziale Geschichte, ihren sozialen „Referenzrahmen“ haben, der in diesem Falle weit vor der Nazizeit entstanden ist.
Wenn skandinavische Psychiater den „Kreuzritter“ für verrückt erklären, was berechtigt den Autor, alle „Terroristen“ durchgängig, ohne psychiatrische Diagnose, für „irr“ zu erklären oder von „Millionen grenzdebiler gefährlicher Fundamentalisten in den Staaten“ zu sprechen? Nichts gegen Kritik, Differenzierung und Aufklärung, aber bitte nicht die Verwandlung von Millionen von Menschen in „Irre“ und „Grenzdebile“! Beides ist nicht nur direkt behindertenfeindlich, es ist ganz normaler Rassismus.
Und wenn der eigentliche Feind der Menschheit die Religion ist, wie erklärt sich der Autor zum Beispiel, dass die katholische Kirche so vehement die Theologie der Befreiung bekämpft? Schaum vorm Mund ersetzt nicht das Denken und ein bisschen Religiosität (die auch atheistisch als Form solidarischer Gemeinschaft gemäß der „goldenen Regel“ begründet werden kann) täte dem Autor im Sinne des Respekts vor psychisch kranken und behinderten Menschen mehr als gut. WOLFGANG JANTZEN, Bremen