LESERINNENBRIEFE :
Eine furchtbare Premiere
■ betr.: „Hand in Hand mit einem Nudelsalat“, taz vom 6. 9. 11
Dass Ihre Rezensentin das „Gentrifizierungsstück“ „Schöner Wohnen“ des Grips-Theaters „nicht schablonenhaft“ und „lustig“ fand, ist ja prima, manche sind leicht zu amüsieren. Aber dass ihr entgangen ist, dass die Veränderung, die ihr beim Nachhausegehen am Premierenabend so ein gutes Gefühl gemacht hat, darin besteht, dass der Investor das Haus und der Arbeitslose dadurch endlich mal den Arsch hoch gekriegt hat, die prekäre, alleinerziehende, migrantische Journalistin ebenso – jetzt schreibt sie einfach Bestseller, verdient sie mehr und kann wohnen bleiben! –, das wundert mich dann doch. Das ist nicht die Veränderung, die die Linke und – zumindest einstmals – das Grips-Theater propagiert haben. Sondern genau der Neoliberalismus, gegen den Christian Veit in einer Premiere von 1974 als Plakatankleber angesungen hat:
„Ihr kennt doch alle das schöne Lied: / „Ein jeder ist seines Glückes Schmied“! / Dieser Spruch ist ja nun wohl der größte Stuss, / wie jeder, der Grips hat, mitkriegen muss. / Bevor du noch schmiedest, hat man dich beschummelt / und an deinem Glück ganz schön rumgefummelt. / Wenn du trotzdem fest zupackst und schuftest wie ’n Schwein / haste gar keine Zeit mehr zum Glücklichsein. / Was du mitbringst, wo du herkommst, allein das ist wichtig. / Da gibt’s nämlich Leute, die schmieden ganz tüchtig / an ihrem Glück, weil sie die Hämmer besitzen. / Für deren Glück können die anderen schwitzen / Doch wer sagt, dass man das nicht ändern kann?“
Wahrscheinlich war Julia Niemann als Kind nicht im Grips und ist deshalb nicht nur leicht zu amüsieren, sondern auch leicht zu verschaukeln. Vom Grips-Theater selber, Mannomann! Na gut, Volker Ludwig ist abgelöst und Christian Veit tot. Vielleicht muss das so sein, hat das alles seinen tieferen Sinn. Aber he da, sitzt nicht noch wenigstens in der Kulturredaktion der taz irgendein kleiner Altlinker und tröstet mich drei Tage nach der furchtbaren Premiere mit einer angemessenen Rezension? ANKE STELLING, Berlin
Kein Abenteuerurlaub
■ betr.: „Es geht voran“, taz vom 13. 9. 11
Lieber Detlef Kuhlbrodt, ich hatte das Vergnügen, mit Dir beim besagten Mehringhof-„Pausengespräch“ über die Dir „befremdliche Selbstverständlichkeit“ von Begriffen wie linksradikal, Widerstand, Repression usw. zu reden (dass Du sogar das Wort Bullen „befremdlich“ findest, hast Du gar nicht erwähnt). Du hast erzählt, dass Du erst nach dem Ende der eigentlichen Bewegung nach Berlin gezogen bist, davor aber schon als Demo-Tourist zu Besuch warst. Offenbar kannst Du Dir nicht vorstellen, dass die Besetzerbewegung für viele Leute kein Abenteuerurlaub war, sondern Teil einer theoretischen und praktischen Radikalisierung, die nicht bloß wegen Räumung oder Legalisierung gleich in der Mottenkiste landet: Linksradikalismus ist kein Spaßguerillawort aus paar historischen „Chaoten“-Jahren, sondern eine notwendige Grundhaltung, wenn man ernsthaft gegen Kapitalismus, Neo-„Liberalismus“, Imperialismus und Refeudalisierung ist, statt in alten hysterischen Antikommunismus zurückzufallen, als stünde der Hauptfeind nicht rechts, sondern links der grünen „Realos“ – wie es die „taz“ tut –, und da passen Deine mild bis zynisch lächelnden zusammenhanglosen Impressionen von der „Woche der Widerspenstigen“ dann ja auch ganz gut rein. PETER STEBEL, Berlin