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Kurzfilmfestival quer durch die OstseeDer segelnde Kinosaal

Sechs Stationen, eine internationale Crew und ein Segelboot - das Film- und Umweltfestival "Moving Baltic Sea" reist von Rostock bis St. Petersburg - und mischt dabei die Ostsee auf.

Mein Hafen, meine Leinwand, mein Boot - das "Moving Baltic Sea"-Festival ist in den Häfen der Ostsee zu Hause. Bild: nadja bülow

Das ist "Moving Baltic Sea"

Knapp 2 Monate ist das Festival "Moving Baltic Sea" unterwegs, 6 Stationen fährt das Festival auf seiner Tour durch die Ostsee an: Rostock, Danzig, Kaliningrad, Riga, Narva-Jõesuu und St. Petersburg.

36 Meter lang ist die "Lovis", das Zweimaster-Segelschiff, auf dem das Festival durch die Ostsee kreuzt. Neben dem Skipper York sind fünf weitere erfahrene Segler an Bord, die die Crew auf See anleiten und unterstützen.

Über 100 verschiedene Crewmitglieder - Organisatoren, Filmemacher und Künstler - aus allen sechs Ländern sollen in dieser Zeit auf dem Schiff mitreisen.

2003 und 2005 haben die Berliner Organisatoren schon einmal europäische Kurzfilmfestival-Tourneen quer durch Europa organisiert. 2003 ging es in den Süden, 2005 nach Südost. Damals nannte sich das Festival noch wie der Verein, der es organisierte: "Moviemiento".

200.000 Euro Fördergelder hat die EU für "Moving Baltic Sea" zur Verfügung gestellt. Um Bootsmiete, Fahrt und Filmprojekte an Bord jedoch zu realisieren, gibt es zahlreiche weitere Sponsoren.

Der Film, der über das Hauptsegel der "Lovis" flackert, ist im ganzen Hafen des polnischen Küstenörtchens zu sehen. Die halbe Crew sitzt auf dem Kai, hat es sich auf Liegestühlen oder in Schlafsäcken gemütlich gemacht, um sich den französischen Cartoon mit fürchterlichen englischen Untertiteln anzuschauen, der über das Segeltuch ihres Zweimasters flimmert. Immer wieder kommen Passanten vorbei, um zu schauen, was dort im Hafen passiert. Doch eigentlich zeigt die "Moving Baltic Sea"-Crew den Film heute Abend nur für sich - zum Ausspannen nach vier anstrengenden Tagen Film- und Umweltfestival in Danzig.

Der Stopp in Danzig war der zweite von insgesamt sechs Stationen, die das reisende Festival "Moving Baltic Sea" einlegt. Mit dem Segelboot "Lovis" reist es in zwei Monaten von Rostock bis St. Petersburg quer durch die Ostsee. An jeder Station werden Kurzfilme gezeigt, Umweltfragen diskutiert, Workshops veranstaltet und Künstler eingeladen. Die Idee ist es, Film und Umweltschutz zusammenzubringen, um mehr Leute für den Schutz der Ostsee zu interessieren, erklärt Janosch, einer der Berliner Hauptorganisatoren des Festivals. Schon zweimal haben er und seine Mitstreiter vom Verein "Moviemiento" in den letzten fünf Jahren kleinere reisende Kurzfilmtourneen veranstaltet, bei denen sie mit einem kleinen Bus quer durch Süd- und Osteuropa gefahren sind.

Dieses Jahr hat sich das Festival in "Moving Baltic Sea" umbenannt und den kleinen Bus gegen das Segelschiff "Lovis" ausgetauscht - ein Traum, den die Berliner schon seit ihrer ersten Europareise hegten. Partnerorganisatoren aus den bereisten Ländern sollten mitreisen können, ebenso wie Filmemacher, Journalisten und andere Künstler, Ergebnisse und Ideen sollen von einer Festivalstation zur nächsten weitergetragen werden. Die EU fand das Projekt so gut, dass sie 200.000 Euro dafür zur Verfügung stellte. "Das ist natürlich viel mehr Arbeit - und darum hatten wir das Gefühl, so eine reine Bespaßung rechtfertigt diesen Aufwand nicht", sagt Janosch. Und so kam es dazu, dass "Moving Baltic Sea" nicht nur Filme zeigt, sondern sich auch Umweltthemen widmet - auch wenn das Herz der meisten Berliner weiterhin vor allem für den Film schlägt.

Am nächsten Morgen direkt nach Abräumen der Frühstücktische im geräumigen Kasino der Lovis werden die Laptops aufgeklappt. An Bord muss nicht nur gesegelt und gekocht, sondern auch die Vor- und Nachbereitung des Festivals gestemmt werden. In Danzig haben deutsche Comiczeichner und Umweltaktivisten aus Rostock Platz für acht Danziger gemacht. Englisch als Bordsprache hat sich noch nicht durchgesetzt, erst langsam mischen sich die deutsche und die polnische Gruppe. Die polnische VWLerin Agatha und die deutsche Bordfotografin Nadja arbeiten daran, den Festival-Blog mit einer Danzig-Rückschau neu zu bestücken. Cutter Christian arbeitet konzentriert - hat er doch auf der Strecke von Rostock nach Danzig gelernt, wie schlecht es sich unter Deck arbeitet, wenn das Schiff bei kräftigem Wind schräg im Wasser liegt. Er und sein Kameramann produzieren über jeden Abschnitt der Tour einen kurzen Film mit Impressionen vom letzten Festival und Segeltörn, der an jedem neuen Festivalort vor dem Kurzfilmprogramm gezeigt wird.

An der Wand des Schiffskasinos hängt ein Zettel, auf dem die Mitsegler ihr Lob und ihre Kritik für das Festival in Danzig äußern können. "Zu viel Regen", steht auf dem einen Kritikzettel. Und direkt darunter: "Place". Die Danziger Umweltbildungsorganisation CEIE hatte eingefädelt, dass das Festival auf einem zentralen Platz mitten in der historischen Altstadt stattfinden konnte, mit riesiger Bühne und viel Laufpublikum. "Nicht unbedingt ein Ort, den wir uns ausgesucht hätten - einfach weil da so viele Touristen waren", sagt Miram, wie Janosch eine der Festivalorganisatorinnen der ersten Stunde. Denn mit "Moving Baltic Sea" sollte ja eigentlich immer eine coole, urbane Subkultur-Zielgruppe ansprechen. Erstmals in ihrer Festivalgeschichte organisiert die Berliner Crew nicht alles selbst, sondern hat vieles an ihre Kultur- und Umweltpartner in der Festivalstadt delegiert. "Auch die Art und Weise, wie der Sponsor in Danzig aufgetreten ist - das hätten wir sicher etwas anders gemacht", ergänzt sie. Auch dieser Punkt taucht auf dem Kritikzettel auf. Denn die penetrante Omnipräsenz des polnischen Gaskonzerns PGNiG, dem Hauptsponsor des polnischen Umweltbildungswerks, hatte viele deutsche Ökos an Bord irritiert. "Das gehört ja aber auch dazu, wenn man die Organisation aus der Hand gibt", sagt Miriam und grinst ein wenig schief.

In Rostock haben die Berliner ein Festival ganz nach ihrem Geschmack machen können: Auf einem abgelegeneren Industriegelände zwischen Hafenanlagen, direkt neben dem Schiff, mit Silent Disco, also Kopfhörerpartys und Comicfließbandzeichern. Ein wenig leer sei es gewesen, sagen alle. Nur ein paar Elemente bleiben an allen Festival-Stopps gleich: Kurzfilmprogramme, Podiumsdiskussionen und der schneeweiße, kugelförmige Info-Pavillon, Anlaufpunkt und Chill-out-Zone jeder Station.

Das Schiff legt ab in Richtung Hel. Es ist nur eine kleine Strecke, darum werden die Segel in aller Ruhe gesetzt, während im Bauch des Schiffs weitergearbeitet wird. Interessierte dürfen sich für ein paar Stunden ins Klüvernetz vorne am Schiff legen oder lernen, wie man das riesige Schiff steuert. Elena, die kleine zierliche Filmemacherin aus Russland, ist überall dabei. Ihr Film wird an jeder Station des Festivals gezeigt - ein eindrucksvolles Porträt der russischen Insel Schikotan. "Mir gefällt es hier", sagt sie und kichert, während der Wind ihre blonden Haare zerzaust. "Ich hasse diese Festivals, wo man nur herumsitzt, trinkt, redet und sich alle wahnsinnig wichtig vorkommen."

Am nächsten Morgen um sechs Uhr früh amüsiert sich der polnische Grenzbeamte im Touristenörtchen Hel bei der Passkontrolle prächtig über die verquollenen Gesichter und Ausweisfotos - besonders über die, die am Vorabend die lokale Touristendisko geentert und dort das Publikum mit dem Auflegen von Berliner Minimal Electro verschreckt haben. Die "Lovis" legt ab Richtung Kaliningrad, und diesmal ist der Wind so stark, dass der Küchendienst, der unter Deck einen starken Magen braucht. "Das ist der Grund, warum russische Seeleute so viel Wodka trinken - um die Balance zu halten", sagt die russische Filmemacherin Elena lachend unter Deck zu einer blassen Polin.

Bei der Einfahrt in den Hafen von Kaliningrad begrüßen drei Kamerateams und ein Teil der russischen Organisatoren die Crew. Noch vor dem Zoll brieft Suza, eine der deutschen Hauptorganisatorinnen, die Neuankömmlinge für das Festival in Kaliningrad - über den Grenzzaun hinweg, der die Schiffspassagiere von der Einreise nach Russland trennt. Beim Frühstück am nächsten Morgen wird Tomek, verantwortlich für das Festival in Danzig, plötzlich laut. "Wir sollten die Fehler aus Danzig hier nicht wiederholen", sagt er bestimmt zu ein paar Deutschen. Es fehlen noch immer Banner mit Namen und Logo des Festivals. Auf dem Papier sehe es immer ganz toll aus, was die Berliner "Moving Baltic Sea"-Leute sich ausdenken, aber die Realität sehe ganz anders aus, grummelt er später. Seine Kritik zeigt Wirkung: Am Abend sind drei Banner fertig.

Am nächsten Abend ist alles vom Infozelt bis zur Kinoleinwand alles fertig aufgebaut. Hinter der Leinwand stehen zwei alte riesige Sowjetschiffe - eines heute ein Museum, das andere ein Hotel. Die ersten Gäste strömen auf das Festivalgelände. Aus dem Lautsprechern blubbert Elektromusik für den Soundcheck. Auch das Promotionsteam hat ganze Arbeit geleistet - trotz übler Russischkenntnisse haben sie in der Nacht zuvor eine Spontanparty vor einem Schnapsladen angezettelt - und begrüßen viele Gäste, die von dieser Aktion begeistert waren, mit Handschlag. Richtig gestresst ist nur noch Lena, die schick gekleidete Hauptorganisatorin des Festivals in Kaliningrad - ihr scheint das Handy noch immer am Kopf festgewachsen zu sein. Umso entspannter Pawel, ein lässig gekleideter Typ mit Militärkäppi, der alle Umweltaktionen des Festivals koordiniert und sich vor dem Papierschöpfkurs am Nachmittag das erste Bier aufgemacht hat.

Nach einem Elektrokonzert und einer Feuershow der mitgereisten Marburger Artisten flimmert gegen 23 Uhr der erste Kurzfilm über die Leinwand. Am Anfang sind die Zuschauerreihen noch voll besetzt, werden im Laufe des Abends immer leerer. Weil russische Untertitel fehlten oder es den Leuten einfach zu spät geworden ist? Unklar, denn auch bei der Filmvorführung am nächsten Tag begegnen einem viele bekannte Gesichter.

"Die Leute in Kaliningrad, so kommt es mir vor, begeistern sich für das Festival. Sie finden es toll, dass jemand in ihre Stadt kommt und ihnen etwas Interessantes präsentiert", schreibt Marek, einer der polnischen Festivalkoordinatoren, am nächsten Tag in den Blog. Er ist zum ersten Mal in Kaliningrad, zum ersten Mal überhaupt in den Osten gereist, wie er sagt. Auch die Gewinner des 48-Stunden-Filmcontests sind völlig aus dem Häuschen. "Ihr habt uns wirklich ein paar Tage das Gefühl gewesen, wir wären in Europa", sagt Luybov Matnynina, Müllmonster-Darstellerin im Film. "In Kaliningrad passiert ja sonst nicht so viel."

Und dann ist auch das Festival in Kaliningrad vorbei. Die neuen Crewmitglieder kommen an Bord der "Lovis". Lena ist dabei und sechs andere Mitorganisatoren. Agata, die VWLerin aus Polen, gibt den Neuen Tipps für den Umgang mit Seekrankheit. Lena, die während des Festivals die Hauptverantwortung getragen hat, sitzt ausgepumpt in der Ecke. Die Organisatoren von Rostock und Danzig schauen sie verständnisvoll an - sie haben sich noch vor wenigen Tagen genauso gefühlt. Skipper York bimmelt mit der Schiffsglocke und beginnt mit der Sicherheitseinweisung für die nächste Segeletappe. Das Festival zieht weiter.

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