: Kurze Geschichte des Wunderns
■ Makabrer Familienspuk: Vorbemerkung zur Premiere eines Solo-Stücks von Elmar Gutmann im RatiborTheater
Pünktlich zu Karfreitag: der Gekreuzigte auf den Brettern des RatiborTheaters! In der Regie von Roswitha Weck präsentiert das Theater Karambole Elmar Gutmanns ganz persönliches Passionsspiel mit allem, was dazugehört: Verrat, Grablegung und Fahrt gen Himmel. „Ich wundere, daß ich mich noch Lebe“ lautet der Titel, und das verrutschte Reflexivpronomen möchte dabei nicht übersehen werden.
Denn wie wir alle wissen, hat der Herr Christus nicht nur viele Wunder vollbracht und insofern ganz ordentlich gewundert, sondern zeit seines kurzen Lebens sich selbst gelebt als einer, der nicht von dieser Welt ist. Und solche Leute wundern sich eben ab und zu, daß sie überhapt noch leben und nicht endlich tot sind. Denn erst mit der Beerdigung beginnt das eigentliche Wunder des Lebens, das Sich- Leben, wenn alles flennt um mich und ich mich endlich mal so richtig gesehen fühle. Genau von derselben Sorte ist Elmar Gutmann. Ein Künstler des Sterbens, der mit dem Strick, Föhn oder Revolver in der Hand schon immer Abschied genommen hat und der im Grab sich seinen eigenen Trauermarsch bläst. Soviel zum vieldeutigen Titel, nun aber zum abstrusen Inhalt. Und damit fängt das ganze Dilemma schon an. Denn außer, daß es irgendwie um einen Todgeweihten geht, sei es nun aus Liebeskummer, Krebs oder dem bereits erwähnten Messiassyndrom, läßt sich so gar keine klare Vorstellung von dem vermitteln, was da über die Bühne geht. Nur eins steht fest: Zwischen dem Schauspieler Gutmann und seiner Rolle, die er spielt, gibt's (fast) keinen Unterschied. Und genau darin liegt die Crux, die unser Heiland sich aufgebürdet hat. Gutmann spielt nämlich sich selbst! Daß heißt, er tut so, als spiele er sich selbst, denn eigentlich spielt er gar nicht, oder besser gesagt, er hat mit dem Spielen aufgehört, noch bevor er angefangen hat.
Mit anderen Worten... wir wissen eigentlich nicht, worum es geht. Und da er nach den zermürbenden Proben nurmehr der Schatten seiner selbst ist, streitet er sich mit demselben fortwährend auf der Bühne herum. Ein Doppelgänger aus Papier, der, gekrault und gebürstet, zerknüllt und wieder glatt gebügelt, seinem Herrn am Ende im Sarg Gesellschaft leistet. Das klingt nach Slapstick. Ist es auch. Aber nicht nur das.
Denn da gibt es zum Beispiel die Ödipus-Geschichte mit seinem todkranken Vater, der noch in mörderischer Absicht besucht werden muß, obwohl er tatsächlich vor der Premiere gestorben ist. „Ja, mein Gott, was kann ich denn dafür, wenn der Krebs schneller ist, als ich proben kann.“ Oder die von seiner Frau, die ihn verlassen hat und für deren Liebhaber er eine Geliebte sucht, damit seine Frau heute abend im Publikum sitzen und sich totlachen kann. Und tatsächlich wird sie uns heute abend mit ihrem Gekreische, verdammt noch mal, auf den Wecker gehen. Na, wenn solch makabrer Familienspuk nichts für Ostern ist!
Gutmann verspricht uns – aber da sollte man der Programmankündigung nicht trauen! – eine Reality Show, die bis an die Schmerzgrenze geht. Ein Ultra- Exhibitionismus bis zum Kollaps aller Beteiligten. Wem das zu kraß ist, der komme trotzdem und amüsiere sich dann eben einfach über diesen Clown, der bestimmt nicht hält, was er verspricht. Matthias Schad
„Ich wundere, daß ich mich noch Lebe oder Die Kunst des Sterbens“ von und mit Elmar Gutmann. Premiere heute (es gibt noch Karten!), weitere Vorstellungen bis 4.4. und von 7. bis 10.4., um 20 Uhr, RatiborTheater, Cuvrystraße 20, Kreuzberg.
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