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Archiv-Artikel

Kurze Auszeit mit vielen Fragezeichen

Der verschwundene Präsidentenkandidat und Kritiker des russischen Staatschefs Iwan Rybkin ist wieder aufgetaucht. Angeblich hat er in der Ukraine Freunde besucht. Doch viele Ungereimtheiten lassen Zweifel an dieser Version aufkommen

AUS MOSKAUKLAUS-HELGE DONATH

„Mir blieb die Spucke weg“, meint Xenia Ponomarjewa. Gerade hatte die Wahlkampfchefin ein erstes Lebenszeichen ihres Chefs erhalten. Fünf Tage war der russische Präsidentschaftskandidat Iwan Rybkin verschwunden. Die Familie vermisste ihn, die Polizei suchte ihn und die Weltpresse fahndete auf den Frontseiten. Plötzlich meldete sich der Verschollene über Handy aus der Ukraine: „Wozu die Aufregung, hab ich nicht auch ein Recht auf zwei, drei Tage Ruhe im Kreise von Freunden ?“

Was soll man von so einem halten? Gattin Albina Rybkina verdient vollstes Mitgefühl, nach der Spritztour ihres Gemahls gestand sie dem Fernsehen: „Armes Russland, wenn es von solchen Männern geführt wird!“

Dienstagabend kehrte der verloren gegangene Kandidat mit dem Flugzeug nach Moskau zurück. Er war nervös, verunsichert, trug in der Dunkelheit eine Sonnenbrille und gab Antworten wie ein Orakel: So viel Willkür wie zurzeit hätte er in den letzten 15 Jahren in der Politik nicht mehr erlebt, sagte Rybkin dem Kommersant. Was er unter Willkür verstehe? „Willkür ist auch in Afrika Willkür, nur werden dort Menschen auch noch gefressen … „Ich bin zufrieden, dass ich zurückgekommen bin“, sagte er weiter. „Ich fühle mich wie nach einer harten Verhandlungsrunde in Tschetschenien.“

Rybkin leitete unter Boris Jelzin die Friedensverhandlungen mit der separatistischen Republik, war vom Kremlchef 1996 zum Sonderbeauftragten für die Region ernannt worden und kennt die Lage dort wie kaum ein anderer Politiker. Vehement sprach er sich gegen den Feldzug Wladimir Putins aus, mit dem sich der Exgeheimdienstchef 1999 an die Macht bombte.

Rybkins vage Andeutungen ließen Zweifel an der Version jenes unbeschwerten Ausflugs aufkommen, die der 57-Jährige aufgetischt hatte. Gestern Nachmittag stellte sich Rybkin dem einzigen noch kremlkritischen Radiosender Echo Moskau. Demnach hatte Rybkin am Donnerstagabend ohne die Familie zu informieren das Haus verlassen und war mit dem Zug nach Kiew gereist. Die Heimlichtuerei begründete er mit permanenter Beschattung durch den russischen Geheimdienst. So war das Flugzeug, mit dem er vergangene Woche nach London flog, auf dem Rollfeld in letzter Minute von schwarzen Limousinen angehalten worden. Rybkin ist der Vertraute des von Putin ins Exil gejagten Oligarchen Boris Beresowski. Nach der Kontrolle blieb ein Spitzel an Bord und flog mit in die britische Hauptststadt.

Wo er auch hinkomme, säße schon ein Abgesandter des Geheimdienstes, sagte Rybkin. Deswegen buche er meist mehrere Flüge gleichzeitig oder schicke auch mal den Fahrer an seiner statt zum Flughafen.

Warum er dennoch schwieg, nachdem er von der Suche erfahren hatte, begründete Rybkin mit seltsamen Gedanken, die ihn beschlichen hätten. So habe er sich gewundert, dass er vermisst werde, obwohl er beim Grenzübertritt kontrolliert worden, seine Daten notiert worden seien und die Beamten ihn mit Namen verabschiedet hätten. Wo er sich aufhalte, sei für die Behörden also kein Geheimnis gewesen. Das habe ihn stutzig und noch misstrauischer werden lassen.

Ein Anruf bei seiner Frau oder Wahlkampfchefin hätte das Verwirrspiel beendet, doch dazu sagte der Heimkehrer nichts. Die Reaktion der kremlnahen Öffentlichkeit war eindeutig: Der frühere Dumavorsitzende müsse Konsequenzen ziehen und auf seine Kandidatur verzichten. Das verwundert nicht, vorige Woche hatte Rybkin dem Kremlchef unterstellt, Russlands mächtigster Oligarch zu sein. Im Kommersant nannte er Firmen, Banken und Namen von privilegierten Freunden des Kremlchefs, unter denen die Beute aufgeteilt werde. „Hat dieser Mann das Recht, das große Russland zu beherrschen?“, fragte Rybkin.

Als Kandidat hatte er keine Chance. Der Sieger der Wahl steht schon fest: Wladimir Putin. Eine Regel dieser Inszenierung sieht indes freie Sendezeit für alle Kandidaten vor. Die meisten werden sich selbst entlarven, Rybkin hätte aber die Ikone Putin in Misskredit bringen können.