Kurt Scheels Lichtspiele: Zumindest ein Ifflandring
■ Antwort auf die Frage, ob Kinder im Film wirklich immer abscheulich sind
Wer Kinder und kleine Hunde haßt, sagt W.C. Fields, kann kein ganz schlechter Mensch sein – ein Satz, der gerade im kinderfeindlichen Deutschland so nicht stehen bleiben darf, weshalb ich in aller Deutlichkeit erkläre, daß ich nie etwas gegen kleine Hunde hatte, jedenfalls im Film.
Beispielsweise Mister Asta in „The Thin Man“, dieser anbetungswürdige Foxterrier, dessen richtiger Name übrigens George war und der seine reifste Vorstellung in „Bringing Up Baby“ gab, ein Gekläffe und Getobe, würdig einer Academy Award Nomination oder zumindest eines Ifflandrings.
Aber Kinder im Film – ist das nicht immer abgreiferisch und abscheulich? Nicht unbedingt, denken Sie nur an „E.T.“ (meine Lieblingsstelle ist die, wenn die süße Drew Barrymore ernst und kokett zugleich zu ihrem Bruder „Schubs mich nicht, Schubsi!“ sagt).
Auf der anderen Seite: „Wenn der Vater mit dem Sohne“, also Heinz Rühmann mit dem „kleinen Oliver Grimm“, ins feindliche Ausland flüchtet, weil er sein Pflegekind der aus den USA zurückgekehrten (Raben-)Mutter nicht ausliefern will, dann aber, wie das liebe, katholische „Lexikon des Internationalen Films“ wahrheitsgemäß schreibt, doch „verzichtet und fortan allein auf der Bühne steht“ – als Musikclown! („Lalilu, nur der Mann im Mond schaut zu, wenn die kleinen Babys schlafen, dann schlaf auch du) –, das ist natürlich wirklich zum Kotzen, und ich erinnere mich genau, daß ich den Film 1955 als Siebenjähriger schon nicht recht goutierte; frühreif, wie ich war, schwante mir, daß dies ein tearjerker von der unsittlichen Sorte und daher abzulehnen war. (Wenn ich jedoch bedenke, daß dieser Film meine Abneigung gegen Heinz Rühmann, melancholische Clowns, Pantomimen und André Heller begründet hat, muß ich ihm, Ironie des Schicksals, sogar ein bißchen dankbar sein.)
Andere Abgreiferfilme aus dieser Zeit, die den Zuschauern ein trauriges Kinderschicksal um die Ohren hauen, bis sie weinen, haben bei mir aber durchaus funktioniert. „Toxi“ zum Beispiel, dieser süße, kleine Mischling (African American German), rührte mich so sehr, daß ich mir fast gewünscht hätte, selber ein Mischling zu sein.
Oder „Rosen-Resli“ mit der unvergleichlichen Christine Kaufmann, und wenn sie dann ihren Spitzentanz hinlegt mit den Nadeln im Schuh, die diese über alle Maßen böse Konkurrentin hineinpraktiziert hat, da fragte ich mich schon, ob ich nicht auch zum Ballett gehen sollte, ich war ja noch ein Kind!
Die ersten richtig guten Filme mit Kindern als Protagonisten waren für mich die nach den Romanen von Erich Kästner: „Pünktchen und Anton“, „Das doppelte Lottchen“, „Das fliegende Klassenzimmer“ (1954), introducing Peter Kraus! Die waren zwar auch traurig, aber erstens gingen sie gut aus – der Sohn bekommt die Mutter beziehungsweise die Kinder bringen die Eltern wieder zusammen –, und zweitens waren die Kinder die Helden, nicht die Erwachsenen. „Emil und die Detektive“ von 1931 war nicht so mein Fall, ich hatte zuviel Angst vor der großen Stadt Berlin, und der böse Dieb, Fritz Rasp, war einfach zu alptraumhaft böse.
Ein reines Vergnügen waren dann die Kalle-Blomquist-Filme, und Eva-Lotte – hübsch war sie in ihren Shorts und mit den langen Beinen, fast wie ein Junge – hatte diese wunderbaren Eltern, großzügig und schwedisch, womit ich natürlich nichts gegen meine Eltern sagen will, aber trotzdem. Und die Stadt sah so proper aus, und Schutzmann Björk war so jovial und freundlich – kein Vergleich mit Willy Wiesel (ich schwöre: das ist sein richtiger Name), unserem Dorfpolizisten, vor dem man beim Äpfelklauen auf der Hut sein mußte.
Onkel Björk habe ich übrigens bei Ingmar Bergman wiedergesehen in „Die Zeit mit Monika“, glaube ich, war das eine Freude!
Der allerschönste Kinderfilm war aber zweifellos „Tom Sawyer“ von 1938, eine prachtvolle Selznick-Produktion, und dann die Szene, wenn Tom zur Strafe den Zaun streichen muß: Seine Kumpane lachen ihn aus, weil er nicht zum Fischen mitkommen kann, aber der bleibt ganz cool und tut so, als mache ihm die Arbeit Spaß, und die Spezln, unsicher geworden, bitten ihn, doch auch mal malen zu dürfen, was er ihnen dann großzügig gestattet, gegen ein kleines Entgelt, versteht sich: ein Taschenmesser, einen Frosch und was der Jungsschätze mehr sind.
Ich war wie vom Donner gerührt. So ein Schlaufuchs! Wenn man den anderen vorgaunert, daß etwas Spaß macht, kann man sie tricksen. Das sollte ich mir merken, und damals begann eine Idee in mir zu keimen, die dann zu meiner Karriere geführt hat: Von Hollywood lernen heißt siegen lernen! Kurt Scheel
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