Kurt Scheels Lichtspiele: Und wieder quillt die Träne
■ Notizen zu überirdischen Filmanfängen
Es gibt Filmanfänge, die sind so überirdisch, daß es fast egal wäre, wenn es danach ziemlich mittelmäßig weiterginge.
Tut's aber glücklicherweise nicht in „Manhattan“, Woody Allens Liebeserklärung an seine Stadt, zur Musik von „Rhapsody in Blue“, die ihren Höhepunkt erreicht überm Yankee Stadium, festlich beleuchtet (und von rechts fährt auch noch die Hochbahn ins Bild), und dann blitzt und funkelt hinterm Central Park ein Feuerwerk, in so herrlichen Farben, daß dies wohl auch an den Tränen liegen muß, die wieder wacker fließen, denn eigentlich ist der Film ja in Schwarzweiß.
Oder der Anfang vom „Paten“, wenn die Kamera langsam vom Gesicht des Bittstellers („Ich glaube an Amerrrika“) zurückzoomt, bis die Silhouette des Godfather-Kopfes die halbe Leinwand ausfüllt: Kann man diskreter und deutlicher zeigen, wer hier als Schattenmann die Fäden ziehen wird? Kann man eben nicht.
Oder Ken Russells bizarrer Mahler-Film, dessen Anfang ich aus der Erinnerung und daher vielleicht ein bißchen geträumt beschreibe: ein Bergsee, in den ein langer Steg führt, an dessen Ende eine Holzhütte steht, und wie von Geisterhand geht sie plötzlich, mit dem Einsetzen der Mahlerschen Musik, in Flammen auf, als wolle dies uns sagen, daß auch Mahler von seiner Kunst, sozusagen, feurig verzehrt wurde.
Klingt abscheulich? Aber so ist der doch, der Künstler, fragen Sie Botho Strauß!
Die Mutter aller Anfänge aber ist fraglos in „2001: A Space Odyssey“ von Stanley Kubrick zu bestaunen: Richard Straussens „Also sprach Zarathustra“-Motiv (das vorher doch kein Schwein kannte, und jetzt ist es ein Werbe- Jingle), und dann sehen wir den „Aufbruch der Menschheit“ (vor circa vier Millionen Jahren), diese Wüstenlandschaften (die als „front-projection“ gedreht sind: ein Foto wird auf eine riesige Leinwand projiziert und dann abgefilmt), die Affenmenschen bei ihrem mühsamen (sind sind Veganer) Broterwerb (das Baby ist übrigens ein Schimpanse), der Leopard mit diesem unglaublichen Augenleuchten – und dann steht da der Monolith, die Affen berühren ihn, ängstlich und aggressiv zugleich, dazu diese flirrende, astrale Musik von Györgi Ligeti: ein kleiner Schritt für die Götter, ein großer für die Menschheit, die daraufhin das Werkzeug erfindet beziehungsweise erkennt (be-greift), daß man mit einem großen Knochen prima einem Lebewesen, Tier oder Mensch, aufs Haupt schlagen und töten kann (dazu ertönt wieder das „Zarathustra“-Motiv, das ja passenderweise ein bißchen nazihaft ist) – was uns jetzt Gelegenheit gäbe, über den Fortschritt als Kriegsgeschichte bedenklich mit dem Kopf zu wackeln und daß Paul Virilio ein alter Hut sei, aber statt dessen weise ich lieber auf den berühmtesten Schnitt der Filmgeschichte hin, in dem sich der in den Himmel geschleuderte Knochen in ein Raumschiff verwandelt, das (jetzt kommt der dritte Strauß, Johann, ins Spiel) zur Musik der „Schönen blauen Donau“ im Dreivierteltakt durchs All tanzt – und spätestens jetzt strömen die Tränen, daß man fast nichts mehr sieht.
Warum aber weint man?
Es ist die Fassungslosigkeit und das Glück darüber, daß es so etwas Wunderbares, Vollkommenes gibt; es ist die Dankbarkeit darüber, so etwas sehen zu dürfen; und es ist auch ein bißchen Trauer darüber, daß man selber so etwas Schönes nicht zustande bringen wird.
Es ist ein feiner Stich ins Herz, und du mußt dein Leben ändern.
Das erste Mal habe ich „2001“ 1968 auf der Cineramaleinwand des Hamburger Grindelkinos gesehen, und ich war vom Donner gerührt und mir gewiß, daß ich ein „Achtundsechziger“ werden würde.
Ein paar Monate später, in einem Münchener Autokino, kam dann die Bestätigung von höchster Instanz: Während des Films zuckten die Blitze nur so hinter der Leinwand am nächtlichen Himmel, ein Wetterleuchten, und der Herr (obwohl er ursprünglich auf Kubrick ein bißchen neidisch gewesen sein soll) war sichtbarlich mit uns. Kurt Scheel
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