■ Kurdistan im Schatten der neuen Weltordnung: Gute Kurden, schlechte Kurden
Die vielfältige Gestalt, die der kurdische Nationalismus in verschiedenen Staaten annimmt – Kurdistan ist aufgeteilt unter die Türkei, den Irak, den Iran und Syrien –, spiegelt sich auch in der Berichterstattung der westlichen Medien wieder. Zum einen gibt es gute Kurden. Zur Zeit sind dies die irakischen Kurden. Die irakischen Kurdenführer Masud Barsani und Jelal Talabani reisen, ausgestattet mit türkischen Diplomatenpässen, in die westlichen Hauptstädte und werben auf Empfängen für die kurdische Sache. Sie werden mit Sympathie und voller Mitgefühl empfangen. Der Grund ist Saddam Hussein. Jener Mann, der sich in dem Augenblich als „zweiter“ Hitler entpuppte, als er ein Auge auf die Erdölfelder Kuwaits geworfen hatte. Zum anderen gibt es böse Kurden. Die Inkarnation des Bösen ist die Arbeiterpartei Kurdistans PKK, die einen Guerillakrieg gegen die Türkei führt. PKK-Militante sind Terroristen. Bösewichte, die unschuldige Kinder und Frauen umbringen.
Heute kämpfen die guten Kurden gegen die bösen Kurden. Unterstützt von Bombern der türkischen Luftwaffe führen die irakischen Kurden seit drei Wochen Krieg gegen die PKK, die Lager in Irakisch-Kurdistan unterhält. Auf der gleichen Sitzung des kurdischen Parlamentes im Nordirak, wo der Plan zur Vertreibung der PKK gefaßt wurde, wurde ein „demokratischer, kurdischer Bundesstaat“ ausgerufen. Die Vision der irakischen Kurdenführer von einem kurdischen Staat schien Gestalt anzunehmen. Schließlich hatte man doch im Mai Wahlen durchgeführt, ein Parlament konstituiert und eine Regierung gebildet. Die Wirklichkeit dieses völkerrechtlich ohnehin nicht anerkannten Gebildes im Nordirak hat mit den Visionen der irakischen Kurdenführer jedoch nichts gemein. Irakisch-Kurdistan ist ökonomisch vollkommen auf internationale Hilfslieferungen angewiesen und politisch in totaler Abhängigkeit von der Türkei. Ein Federstrich in Ankara genügt, um das Land wieder Saddam Hussein auszuliefern. Goodwill der irakischen Kurdenführer war Voraussetzung, daß die Türken die alliierte Militärmacht „Schwebender Hammer“, die irakische Kurden vor Saddam Hussein schützen soll, verlängerten. Die Versorgungslage in Irakisch-Kurdistan ist katastrophal. Ohne Heizöl ist der Erfrierungstod für Tausende vorprogrammiert. Der Streich der Geschichte: Einzige Einahmequelle der kurdischen Regierung ist der Wegezoll, den die Kurden auf türkische Trucks erheben, die von Kirkuk Öl in die Türkei transportieren und somit faktisch das Embargo der UN gegen den Irak unterlaufen. Um zu überleben, haben die irakischen Kurdenführer ihre Brüder und Schwestern von der PKK buchstäblich verraten und verkauft.
Geschichte wiederholt sich. Als die Baath-Partei im Irak den Amerikanern suspekt erschien, weil sie enge Beziehungen zur Sowjetunion unterhielt, unterstützten die USA und der Iran den kurdischen Aufstand gegen Bagdad. CIA- Gelder flossen, und der Schah lieferte den aufständischen Kurden schwere Waffen. Mustafa Barzani, der Vater von Masud Barzani, war so glücklich über die iranische Hilfe, daß er damals oppositionelle iranische Kurden an das Schah- Regime auslieferte. Als der Iran und der Irak dann 1975 in Algier einen Freundschaftsvertrag schlossen und der Iran seine Unterstützung für die irakischen Kurden einstellte, brach der Aufstand gegen Bagdad zusammen. Die Kurden im Irak glaubten auch vom iranisch-irakischen Krieg 1980 bis 1988 zu profitieren, als erneut Hilfe vom Iran – diesmal vom Khomeini-Regime – floß. Die Rechnung gegenüber den Kurden präsentierte Saddam Hussein mit den Giftgaseinsätzen im Sommer 1988. Während des letzten Golfkrieges ermunterten die Alliierten die Opposition im Irak zum Aufstand. Als nach dem Ende des Krieges die Schiiten im Süden und die Kurden im Norden den Aufstand gegen Saddam Hussein wagten, schauten die Alliierten gelassen zu, wie der irakische Diktator die Kurden massakrierte. „Nichteinmischung in innere Angelegenheiten“ nannte sich das. Dabei hatte erst der Golfkrieg die Voraussetzungen für das Massaker geschaffen. Doch die irakischen Schiiten waren suspekt, weil der Iran als ideologischer Ziehvater vermutet wurde. Die Kurden waren suspekt, weil die Türkei, engster Verbündeter der USA in der Region, einen unabhängigen, kurdischen Staat wie die Pest scheute. Erst als die Türkei mit fast einer Million kurdischer Flüchtlinge aus dem Irak nicht fertig wurde, folgte „Operation provide comfort“ und die „Sicherheitszone“ für Kurden im Nordirak.
Mittlerweile zweifeln die Strategen in Washington daran, daß die „territoriale Integrität“ des Irak aufrechtzuerhalten ist. Die Lieblingslösung, daß ein den USA genehmer Putschist Saddam Hussein stürzt, erfüllt sich nicht. Die Kurden unter der Fuchtel des türkischen Staates könnten das Instrument sein, um dennoch die Erdölfelder von Kirkuk dem kapitalistischen Weltsystem zu öffnen. Der vom kurdischen Parlament ausgerufene „kurdische Bundesstaat“ schließt Kirkuk ausdrücklich mit ein. Türkische Politiker entdecken plötzlich die „turkmenische Minderheit“ in der Region Kirkuk. Sie sprechen von einer „unnatürlichen Grenzziehung zwischen dem Irak und der Türkei“. In einer Erklärung des türkischen Kabinetts wird festgestellt, daß „die Türkei die entscheidende Garantie für die Sicherheit und den Frieden der kurdischen, turkmenischen, arabischen und asyrischen Völker“ sei. Ein Szenario mit Realitätsgehalt: ein Angriff Saddam Husseins auf die irakischen Kurden und ein Hilfsersuchen der irakischen Kurden an die Türkei. Schließlich ein türkischer Einmarsch und die Besetzung Kirkuks und Mossuls. Eine der Alternativen für „Stabilität“, damit das Erdöl gen Westen fließen kann.
Der politische Schwebezustand Kurdistans kann nicht lange anhalten. Doch egal welche politische Ordnung für Kurdistan in der Post- Golfkriegsära oktroyiert wird: Es wird in jedem Fall eine Ordnung sein, die abseits von Gerechtigkeit und Humanität ist. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist heute – seines eigentlichen Inhalts beraubt – nur noch Gerede, ideologischer Brennstoff in imperialistischer Hand. Deutsche Panzer gegen türkische Kurden, deutsches Zuckergebäck für die hungernden, irakischen Kurden. Die bipolare Welt, das politische Aufeinanderprallen des westlichen Blocks mit dem sowjetischen Block hat in der Vergangenheit „nationalrevolutionären“ Bewegungen zum Sieg verholfen. Die Zeiten sind passé. Es gibt nur die Eine Neue Weltordnung, und die entscheidet auch über die Zukunft Kurdistans: Gute Kurden sind in jedem Fall Kurden, die den Westen am Öl mitverdienen lassen.
Die Zeit „sozialrevolutionär“ eingefärbter Nationalismen ist weltweit, nicht nur in Kurdistan, vorbei. Lieber würde man die Kurden Saddam Hussein ausliefern, als zuzusehen, wie die PKK erstarkt. Die „marxistisch-leninistische“ PKK mit ihrem „anachronistischen“ Antiamerikanismus war und ist ein Bösewicht. Doch unsere kurdischen Freunde im Irak machen ihr gerade den Garaus. Ömer Erzeren
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