Kurden protestieren für Öcalan: Hungerstreik wird zum Thema
Über 700 kurdische Gefangene verlangen ein Ende der Isolationshaft von PKK-Chef Öcalan. Nun mehren sich in der Öffentlichkeit die Stimmen, die ein Einlenken fordern.

Bei Protesten für Öcalan in Istanbul setzt die Polizei auch Tränengas ein. Bild: dpa
ISTANBUL taz | Ein Hungerstreik von mehr als 700 kurdischen Gefangenen in insgesamt 66 Gefängnissen in der gesamten Türkei rückt immer mehr ins Zentrum der politischen Auseinandersetzungen im Land. Am Wochenende äußerte sich auch Ministerpräsident Tayyip Erdogan erstmals ausführlich zu dem Konflikt. Nachdem er während seines Deutschlandbesuches vergangene Woche noch behauptet hatte, es gäbe gar keinen Hungerstreik, griff er nun die Gefangenen scharf an.
Auf einer Veranstaltung zum 10-jährigen Regierungsjubiläum seiner AK-Partei am Wochenende kündigte Erdogan an, er werde sich „nicht erpressen lassen“. Der Hungerstreik sei eine politische Kampagne der kurdischen PKK-Guerilla und deren inhaftiertem Chef Abdullah Öcalan.
Tatsächlich geht es den Hungerstreikenden nicht um eine Verbesserung ihrer Haftbedingungen. Zentrale Forderung ist die Aufhebung der Isolation von Öcalan, der auf seiner Gefängnisinsel im Marmarameer seit Juli letzten Jahres keinen Besuch von seinen Anwälten mehr bekommen darf.
Es hat seither mehrere Aktionen gegeben, mit denen gegen die Isolation Öcalans protestiert worden war, darunter bereits schon einmal einen Hungerstreik von Exilkurden in Brüssel und Demonstrationen in Europa und in der Türkei. Da das nichts gebracht hat, sind die Hungerstreikenden jetzt offenbar entschlossen, bis zum Äußersten zu gehen.
Ergebnislose Verhandlungen
Justizminister Sadullah Ergin, der in der letzten Woche ein Gefängnis besuchte, in dem Hungerstreikende einsitzen, bestätigte jetzt, dass sieben Gefangene sich in einem lebensbedrohlichen Zustand befinden. Sie gehören zu der Gruppe, die bereits am 12. September mit dem Hungerstreik begonnen hat. Am Freitag traf er sich mit dem Ko-Vorsitzenden der kurdischen BDP, Selahattin Demirtas, um über eine Lösung zu sprechen. Das Treffen blieb ohne Ergebnis. Stattdessen warnte ein Sprecher der PKK in der ihr nahestehenden Nachrichtenagentur Firat-News davor, die Gefangenen zwangsweise zu ernähren. In diesem Fall könnten bis zu 10.000 Gefangene in den Hungerstreik treten.
In den kurdischen Gebieten der Türkei wird der Hungerstreik massiv unterstützt. In Dijarbakir und anderen Städten wurde einen Tag lang das öffentliche Leben lahmgelegt. Alle Läden blieben geschlossen, viele Kinder kamen nicht zur Schule. Obwohl der Gouverneur Demonstrationen verbot, kommt es immer wieder zu Aufmärschen und Zusammenstößen mit der Polizei.
Die Atmosphäre ist so aufgeheizt, dass mittlerweile immer mehr Kommentatoren in türkischen Medien fordern, Öcalan endlich wieder von seinen Anwälten besuchen zu lassen, bevor es zum Äußersten kommt. „Tote Gefangene“, schrieb Kadri Gürsel am Sonntag in der Zeitung Milliyet, würden „die gesamte Türkei destabilisieren und das Ansehen der Regierung weltweit beschädigen“. Der berühmte Schriftsteller Yasar Kemal sagte auf einer Pressekonferenz: „Wenn es Tote gibt, ist das die Schuld des Staates.“
Leser*innenkommentare
Wahrheitssager
Gast
Es ist nicht der Wert darüber ein Wort zu verlieren. Es ist schade für die Zeit. Nächste!
Interpretator
Gast
Die Gefangenen streiken nicht für mehr Rechte, für muttersprachlichen Unterricht usw., sondern dafür, dass der Kopf der PKK es etwas bequemer in der Haft hat. Sorry, aber wenn es zu Toten kommt, ist das der Irrsinn der Streikenden.
Zeilendoc
Gast
Ja ja,.... man stelle sich vor, Rechtsextreme würden für Breivik in einen Hungerstreik treten...
Medien hierzulande wissen zwar über den Hungerstreik zu berichten, sie vermögen aber nicht darüber aufzuklären, dass Öcalan mittels seiner Anwälte PKK-Aktionen leitete. Im übrigen dürften PKK´ler froh sein, dass Öcalan überhaupt noch lebt (wer sonst sollte die Aktionen befehligen?), und das in einem Land, in dem de jure die Todesstrafe noch fortbesteht. Aber so verhält es sich mit nahezu allen Berichten über die Türkei: wenn über die Eröffnung einer türkischen Botschaft in Berlin berichtet wird, kommentieren Türkei- und Islamspezialisten "der Islam und die Türkei gehören nicht nach Europa".
Wenn ich in naher Zukunft einen Bericht über Feminismus lesen sollte, werde ich meinen schon vorgefassten Kommentar über das Für und Wider von Push-Up-Bh´s copypasten.
Heval Bahoz
Gast
Die zentralen Forderungen der Hungerstreikenden lauten:
1. Bildung und Anerkennung der kurdischen Sprache in allen Fällen.
2. Aufhebung der Isolationshaft von Herrn Öcalan
Anstatt, dass die türkische Regierung mit den Hungerstreikenden kommuniziert, verschärft sie die Haftbedingungen und wendet Foltermethoden an. In einigen Gefängnissen wurden Insassen in Einzelzellen verlegt, um somit u.a. psychische Folter auf diese auszuüben. Über eine neutrale Berichterstattung kann man in der deutschen Medienlandschaft kaum sprechen, da jeweilige Artikel zu spät oder unvollständig erscheinen. Der türkische Premiemerminister leugnet der Hungerstreik während seines Deutschlandbesuches, während Schnarrenberger von seinem Amtskollege erfährt, dass mehr als 600 kurdische Gefangene im Hungerstreik sind. Es ist nur eine Frage der Zeit bis die Kurdinnen und Kurden die Eigeninitiative ergreifen werden und jenseits von außenpolitischen Kräften ihre Forderungen legitimieren werden.