Kunstwerk über vergessene Künstlerinnen: Entrinnen aus der Gedächtnislücke
Cordula Ditz' Video-Installation im Kunsthaus Hamburg beansprucht Raum für Malerinnen, die von der Kunstgeschichte gezielt verdrängt wurden.
Es wirkt wie ein Fiebertraum: Geisterhafte Gestalten schweben über Büchern. Ihre Gesichter sind vom Weinen verschmiert. Sie schreien stumm und zerlaufen in sich selbst, verschwinden, als hätten sie sich in eine Staubwolke aufgelöst. Diese Fantasiewelt aus Comicfiguren ist eine Videoprojektion, die im Zentrum des dunklen Raumes im Kunsthaus Hamburg auf einer großflächigen Leinwand läuft. Flackernde Lichterketten hängen von der Decke, und aus den Ecken flüstern weibliche Stimmen Namen von Frauen.
„They Speak to Us in Dreams“ heißt die KI-generierte Videoinstallation, mit der Cordula Ditz hier eine ganze Ausstellung bestreitet. In ihrer Heimatstadt Hamburg wohlbekannt, waren Ditz’ Arbeiten auch schon in Marseille und Brüssel zu sehen, auf der Rotterdam-Art-Fair und der kunstbetriebskritischen „Wrong Biennale“ in Alicante. Mit dem Animationsfilm widmet sich Ditz mit Nachdruck der Unsichtbarkeit von Frauen in der Kunstgeschichte. Inspiriert von Künstlerinnen wie Hilma af Klint, der lange ignorierten wahren Erfinderin der abstrakten Kunst, beteiligt sie sich an der Aufarbeitung des Vergessenwerdens von Künstlerinnen. Seit 2019 arbeitete sie an diesem Projekt.
Besonders fasziniert es durch den Einsatz künstlicher Intelligenz: Der Film besteht ausschließlich aus KI-generierten Inhalten. Die Künstlerin arbeitete dazu mit verschiedenen KI-Systemen, die zunächst Stichworte in Bilder und diese anschließend in Videos verwandelt haben. Tausende KI-generierte Sekundenclips verschmelzen zu einer 45-minütigen Video- und Soundinstallation. In der fließen die Figuren regelrecht von einem ins nächste Bild. Der Sound – dramatisch, beklemmend, stets passend zur Storyline – zieht in den Bann der Geschichte. Auch er ist von der KI erzeugt.
Die Animationslandschaften, in die Ditz ihr Publikum lockt, bilden eine verschwommene Welt der Erinnerung: Aus der einst heilen Welt malender Frauen wird eine düstere Szenerie. Konzentriert sitzen Frauen über den schweren Büchern der Kunstgeschichte. Doch sie finden nur die Namen und Werke männlicher Künstler. Den Künstlerinnen bleibt nur übrig, sie als Phantome heimzusuchen: Sie schreien stumm nach Aufmerksamkeit. Ihre Namen – Clara Peeters etwa oder Giovanna Garzoni – erklingen nur leise im Hintergrund. Zu ihren Lebzeiten im 17. Jahrhundert waren beide extrem erfolgreich, Garzoni als Porträt-Malerin der Medici, Peeters als Erneuerin des Stilllebens in Brabant.
Spiel mit Geschlechterklischees
Heute zeigen Museen wie der Prado in Madrid oder das Getty Museum in Los Angeles ihre Werke. Aber lange wurden sie regelrecht aus der Kunstgeschichte gedrängt, in den Sumpf des Vergessens. Die Installation macht spürbar, es waren männliche Autoren, die diese Frauen übergangen oder gar aktiv aus den Geschichtsbüchern getilgt haben. Ihre Werke und Signaturen wurden systematisch ersetzt, ihre Erfolge verdeckt – die Künstlerinnen zur Unsichtbarkeit verdammt.
Es ist letztlich die Befreiungsgeschichte dieser Künstlerinnen, die die Videoinstallation zeigt. Durch die Aufarbeitung von Kunsthistorikerinnen werden die Künstlerinnen zurück ins kollektive Gedächtnis geholt und die Geschichte verwandelt sich in eine Heldinnensaga und einen Akt des Female Empowerments.
„They Speak to Us in Dreams“: bis 14. 11., Kunsthaus Hamburg
Ditz spielt hier auch mit Klischees, unseren Vorstellungen von Künstler*innen-Identitäten und Geschlechterrollen: Männer erscheinen in den Video-Sequenzen als Karikaturen des Erfolgs – auf einer Yacht, umgeben von Champagner und Luxus. Inmitten eines Geldregens repräsentieren sie das stereotype Bild des erfolgreichen Künstlers.
Die KI kennt nur das nicht Verdrängte
Diese Darstellungen hat auch die KI unterstützt: Um Bilder von weiblichen Künstlerinnen statt männlichen zu bekommen, musste Ditz explizit danach fragen. Künstliche Intelligenz baut auf unserem kollektiven Gedächtnis – und dessen Lücken. Auch die KI kennt nur das nicht Verdrängte.
Am Ende bleibt der Wunsch offen, tiefer in die Lebensgeschichten und vor allem in die Werke dieser Künstlerinnen einzutauchen. Zwar schafft Cordula Ditz eine eindrucksvolle Atmosphäre, die die Unsichtbarkeit spürbar macht, doch die geisterhaften Figuren bleiben anonym.
Wer waren diese Frauen? Wofür standen ihre Werke und für welche Kunst können wir sie in Erinnerung behalten? Um die Künstlerinnen aus dem Verborgenen zu holen, hätte die Ausstellung diese Fragen gern näher beantworten können. Deutlich macht sie hingegen: Die Frage, warum es vermeintlich keine grandiosen Künstlerinnen gab, geht von einer falschen Voraussetzung aus. Es gab sie und sie waren erfolgreich. Zu fragen bleibt, wie sie so erfolgreich verdrängt werden konnten. Es ist Zeit, auf sie zu schauen.
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