piwik no script img

Kunstprojekt mit Worten„'heiterweiter' ist ein Lieblingswort“

Das Wortfindungsamt von Sigrid Sandmann verkauft für 60 Euro plus Porto Lieblingswörter. Die Idee: das Private öffentlich machen.

Schön Gesagtes: Im Wortfindungsamt gibt's Lieblingswörter zum Ausdrucken. Bild: Nullprozent
Interview von Barbara Bollwahn

taz: Frau Sandmann, Menschen kommen mit ihren Lieblingswörtern in Ihren pinkfarbenen Bauwagen, Sie drucken die Wörter, und die Menschen platzieren diese in dem Ort, in dem sie wohnen. Welches Anliegen hat das Wortfindungsamt?

Sigrid Sandmann: Es geht um eine Irritation, eine kleinteilige Veränderung im öffentlichen Raum. Wir sind ständig umgeben von Schrift und Text, die mit uns nicht mehr viel zu tun haben. Und: Durch das Wortfindungsamt soll das Private öffentlich gemacht werden.

Wie geschieht das?

Die Menschen kommen zu mir, weil sie ihr Wort, das verschlüsselt ihre ganz eigene private Geschichte erzählt, in den öffentlichen Raum bringen wollen.

Welche Wörter bringen die Menschen?

Oft sind es Wörter, die sich mit Orten auseinandersetzen. Die „Drosselklappe“ hing an einem Rathausbriefkasten in Altona, das Wort „dingdangdonglutschbonbon“ wurde an einer Kirche platziert. Die Menschen bringen auch politische Wörter, und manche werden erst durch ihre Platzierung politisch, so wie die „Schuldbremse“, angebracht an der Finanzberatung der Postbank.

Bild: Gaby Zimmermann
Im Interview: Sigrid Sandmann

53, gelernte Siebdruckerin. Seit dem Studium an der Kunsthochschule Kassel selbstständige Künstlerin in Hamburg, u. a. beschäftigt sie sich mit Lichtinstallationen. Das Wortfindungsamt ist ein interaktives Kunstprojekt im öffentlichen Raum. Bisher hat sie etwa 2.500 Wörter gedruckt, die Menschen bei ihr in Auftrag gegeben haben.

Was für Menschen kommen zum Wortfindungsamt?

Kleine und große Kinder, Frauen und Männer, die 18, 25, 35 Jahre und älter sind, Handwerker genauso wie Professoren.

Auf Ihrer Internetseite ist der Verbleib von ungefähr 200 Wörtern mit Fotos dokumentiert. Da steht „champagnerfüralle“ am Jobcenter, Seelenbaumler“ an einem Wohnungsfenster. Woher bekommen Sie die Fotos?

Mein künstlerisches Zutun endet an der Tür meines Bauwagens, danach sind die Menschen selbst verantwortlich. Viele sind anfangs überrascht, dass sie selbst die Wörter anbringen sollen. Aber es gibt keine Widerrede. So funktioniert das Projekt. Das Hochladen auf meiner Internetseite funktioniert ganz gut, aber ich bin darauf angewiesen, was mir die Leute schicken, und ich habe auch lange nicht alle Wortorte. In ärmeren Stadtteilen hat nicht jeder einen Fotoapparat oder Internet.

Viele Wörter lesen sich wie Reaktionen auf die Gesellschaft, in der wir leben: „Durchführungsverordnungsopfer“, „Wachstumsbeschleunigungsgehetz“.

Die Menschen nehmen Bezug auf ein aktuelles politisches Geschehen. „Illusionsvernichterin“ ist auch so ein schönes Wort. Das brachte mir eine Frau, die immer nur „Nein, das geht nicht“ zu hören bekam.

Was hat den Anstoß zu dem Wortfindungsamt gegeben?

Ich arbeite seit Jahren fast ausschließlich mit Schrift und Wörtern. 2007 habe ich eine große Wortinstallation an einem der Grindelhochhäuser gemacht, das ist ein denkmalgeschütztes Ensemble von zwölf Hochhäusern in Hamburg-Eimsbüttel, wobei über eine ganze Fassade Sätze von Bewohnern des Hauses gedruckt wurden.

Den genauen Anstoß für das Wortfindungsamt kann ich gar nicht wirklich benennen. Ich lasse mich gern durch den urbanen Raum inspirieren. Bei dem Wortfindungsamt reizten mich die „Unorte“, aber auch das nicht Voraussehbare: dass ich nicht weiß, wo die Menschen ihre Wörter platzieren werden.

Bekommt man die Wörter umsonst, oder müssen sie bezahlt werden?

Wenn das Wortfindungsamt in einem Stadtteil steht, bin ich eingeladen oder gebucht. So wird das Projekt durch öffentliche Gelder oder private Sponsoren finanziert, und die Schilder sind dann umsonst. Wenn sich Leute bei mir melden, weil sie ein Interview mit mir gelesen oder mich im Fernsehen gesehen haben, müssen sie ihre Wörter auf eigene Kosten erwerben.

Was kostet ein Wort?

60 Euro plus Porto.

Das ist nicht gerade wenig für ein Wort.

Die Wörter sind ja nicht einfach Wörter. Sie gehören zu einem Kunstprojekt, hinter dem eine Idee steckt. Ursprünglich war ein Verkauf auch gar nicht angedacht. Es geht nicht einfach darum, ein Lieblingswort günstig zu bekommen. Das könnte sich jeder selbst drucken. Es geht um Kunst. Wenn die Stadt Hamburg das Wortfindungsamt fest installieren wollte, würde ich das ablehnen.

Warum?

Das Projekt ist schon meine Herzensangelegenheit, und zweimal im Jahr kann ich es auch machen. Aber ich habe ja noch andere Projekte, um die ich mich kümmern muss.

Was für Geschichten bekommen Sie zu den Wörtern zu hören?

Oh, jede Menge! Eine Frau wollte das Wort „schlappwaschen“ für ihre Schwester zum 50. Geburtstag. Die konnte als Kind nicht Waschlappen sagen. Solche Geschichten tauchen öfter auf. Oder das Wort einer Frau, die für längere Zeit nach Kioto ging: „Neubeginnunwohlsein“. Dabei geht es um einen Neubeginn und das Unwohlsein, das ein Neubeginn mit sich bringen kann. Ein Iraner brachte mir sein erstes deutsches Wort: Holzfußbodenschleifmaschinenverleih.

Gab es schon mal Schwierigkeiten, Wörter im öffentlichen Raum anzubringen?

Einmal musste ich 150 Euro an einen gemeinnützigen Verein zahlen, weil ein Hausbesitzer, an dessen Fassade ein Wort angebracht war, fingernagelgroße Abblätterungen ausbessern musste.

Einmal regte sich eine Frau auf, dass es das Wort Wortfindungsamt nicht im Duden gebe. Deshalb hat es mich umso mehr gefreut, als mir ein stellvertretender Bürgermeister einmal einen Beamtenstatus gab, symbolisch natürlich, für die Dauer, mit dem ich mit dem Wortfindungsamt vor Ort war. Aber vielleicht schafft es das Wortfindungsamt ja tatsächlich in den Duden! Das wäre eine tolle Erweiterung für das gesamte Projekt.

Sind zuerst die Wörter da oder manchmal auch die Orte?

Sowohl als auch. Es gibt Leute, bei denen zuerst der Ort da ist und die für eine Straße oder ein leer stehendes Gebäude ein Wort suchen. Einer wollte das Wort „Leerstand“ haben, damit der Leerstand an einer Stelle besonders klar wird. Ein anderer wollte das Wort „Kopfgärtner“ für ein Friseurgeschäft.

Entwickeln die Wörter im öffentlichen Raum ein Eigenleben?

Ja, es entstehen ganz neue Zusammenhänge. Eine Frau schickte mir einmal eine Mail, weil auf ihrem Balkon plötzlich das Wort „Wildwuchs“ war. Sie hatte lange vergeblich recherchiert, um herauszufinden, wie es auf ihren Balkon gekommen war. Oder das Wort „Huhn“: Das hing an einer Hauswand mit einem kleinen verwilderten Rasenstück. Eine Frau wollte das Wort „liebenswürdigewiese“ hinhängen.

Ich sagte ihr, dass da schon das Huhn ist. Sie sagte, dass das Huhn runtergefallen sei und nun in ihrem Fenster hänge. Jetzt kann sie auf die „liebenswürdigewiese“ schauen. Es passiert auch oft, dass ich in Wohnungen komme, wo ich Wortschilder finde, die ich definitiv nicht verschenkt habe. Da werden die Wörter zu Sammelobjekten.

Wie finden Sie es, wenn Wörter geklaut werden?

Für mich gehört das zu dem Projekt dazu. Viele finden das aber ärgerlich. Ich sage dann: Es ist ein öffentlicher und temporärer Raum, und da passiert das schon mal. Aber mir ist auch aufgefallen: Wie so oft bei Kunst im öffentlichen Raum werden nur ganz wenige Schilder tatsächlich zerstört.

Was muss man machen, um das Wortfindungsamt in den eigenen Stadtteil zu holen?

Ein Sponsor oder ein Kunstförderer muss mich einladen. Anfragen für einen oder zwei Tage reichen aber nicht, um den Stadtraum wirklich mit Wörtern zu bestücken. Das Wortfindungsamt sollte sich für 8 bis 14 Tage in den Stadtraum integrieren. Das muss nicht immer der Bauwagen sein, ein leer stehendes Gebäude geht auch.

Mit welchen Wörtern umgeben Sie sich in Ihren vier Wänden?

„Synapsenpflege“ – ein Wort, das ich mir selbst ausgedacht habe. Gemeint ist, immer mal wieder kurz runterzukommen und an nichts zu denken. „heiterweiter“ ist auch ein Lieblingswort, das seinen Platz in meiner Wohnung hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!