Kunstmuseum auf Föhr: Das Weiße im Graugrünen
Wo sich der kuratorische Blick nicht aufs Maritime beschränkt: Das "Museum Kunst der Westküste" auf der Insel Föhr ist sehr viel besser, als es der großstädtische Kulturfreund erwarten dürfte.
"Ja, da hat der Paulsen uns Föhrern was Anständiges hinterlassen", sagt die Vermieterin. Dann schaut sie in die Ferne, über die Felder, die ihr Mann gerade mit Gülle düngt.
Die Gastwirtschaft, also das Restaurant, das zum Kunstmuseum gehöre, gut, die sei nicht nach ihrem Geschmack, das sagt die Vermieterin auch noch: Gemütlich sei die nicht, zu groß und zu klobig, und das sei nicht nur ihre Meinung, das sähen die meisten hier so.
Feste Mauern und ein Reetdach - aber damit hören die Gemeinsamkeiten mit einem ortsüblichen Bauernhaus auch auf: Das "Museum Kunst der Westküste", gerade für den Titel "Museum des Jahres" nominiert, ist ein moderner Zweckbau.
Über seinen Zweck hinaus - Kunst ausstellen zu können vom schmalen Ölbild bis zur aufwändigen Videoprojektion - erschafft er eine ganz eigene Welt.
Kaum im Inneren, hat man schon bald das Außen vergessen - allein schon, weil es hier so unsagbar weiß und hell gehalten ist, während sich draußen jenes Schwarz, Braun oder allenfalls mal Graugrün vom Regen nasser Wiesen und Felder erstreckt.
Entworfen hat den Bau der Kappelner Architekt Gregor Sunder-Plassmann, der zurzeit in Istanbul das "Museum der Unschuld" des Orhan Pamuk realisiert.
Der Name "Museum Kunst der Westküste" weist in zwei Richtungen: Einerseits sollen hier künstlerische Positionen eine Heimstatt finden, die an der Westküste der Nordsee zwischen Norwegen und Holland vorzugsweise zwischen 1830 und 1930 formuliert wurden.
Andererseits sollen die heutigen Bewohner der deutsch-friesischen Westküste, die Leute von Heide, Bredstedt oder Niebüll, mit aktueller Kunst versorgt werden.
Wie gut das funktioniert, zeigt sich zum Beispiel bei einer Ausstellungseröffnung, wo es zugeht wie auf einem Familientreffen: Jeder scheint jeden zu kennen, alle haben sich fein herausgeputzt. Männer, die sonst wuchtige Traktoren fahren, beugen sich vorsichtig über Vitrinen. Zwei Feuerwehrmänner in schwerer Montur schieben sich durch die gut gefüllten Räume.
Ein Hauch von kulturellem Frühling liegt in der Luft. Und gerade der Großstädter kann einmal durchatmen - er wird hier nicht das übliche Vernissagen-Geschnatter hören, von wegen welche Position mal wieder überschätzt sei und welche Arbeit absolut übercodiert.
Das Ausstellungsprogramm für das erste Halbjahr beweist, wie sehr der Spagat gelingt zwischen Tradition und Moderne, zwischen Lokalem und Internationalem: Föhr und New York, das ist kein Widerspruch - und das nicht nur, weil einst so mancher Insulaner, von Not und Hunger getrieben, sich aufmachte in die Neue Welt.
Zurück in die Vergangenheit weist eine Übersicht über das fotografische Werk der Dänin Caroline Hammer, die ab 1860 eines der ersten Fotoateliers im Hauptort Wyk führte.
Ihre Arbeiten, noch auf zu belichtende Glasplatten gebannt, erzählt von den Anfangstagen der Portraitfotografie. Aber es finden sich darin auch erste Ansätze einer systematischen Architekturfotografie.
Im Gegensatz dazu steht die Videoarbeit "Touch" von Janine Antoni: Die Künstlerin balanciert auf dem Horizont, bestrebt, nicht den Halt zu verlieren. Ganz nebenbei kann diese Arbeit auch als Kommentar zum Image der Insel gelesen werden: Auf Föhr agiert wie überall eine Marketing-Abteilung und die hat sich in den letzten Jahren einen besonders kryptischen Slogan einfallen lassen: Föhr sei die Karibik der Nordsee!
Janine Antoni wiederum, die in New York lebt, stammt aus Freeport, Grand Bahama, und hat es sich nicht nehmen lassen, ihre Kamera in der Nähe ihres Elternhauses aufzustellen. Was da zu sehen ist, ist also die echte Karibik.
Sehr schön ist auch das Kabinett mit Fundstücken der Schweizerin Ursula Stalder: kleine, seltsam verbogene Plastikteile etwa hat sie sorgsam drapiert, Gegenstände, wie man sie beim Strandspaziergang findet und manchmal auch mitnimmt.
Eine Arbeit, die Stalder eigens für das Föhrer Museum geschaffen hat. Sonst pflegt sie Sammlungen anzulegen, die ob Fülle und Gewicht einzelner Exponate schon mal mit dem Tieflader transportiert werden müssen. Hier aber würde ihr Schatz auch in eine Reisetasche passen.
Das Obergeschoss ist mit auf den ersten Blick recht klassischen Radierungen von Wolfgang Werkmeister bestückt - die allerdings zeigen die Föhrer Küste als eine Kulturlandschaft, zu der Zaun und betonierter Wirtschaftsweg ebenso gehören wie die Wolkenbänke über dem offenen Meer.
Ganz nebenbei gibt es hier Einblicke in die hauseigene Sammlung: Schätze etwa von Isaac Israelis, Andreas Schelfhout oder Viggo Johansen im Goldrahmen.
Im Mai wird die dänische Künstlergruppe "Superflex" zu Gast sein, im kommenden Jahr dann ist eine Ausstellung mit den australischen Künstlerinnen Margaret und Christine Wertheim geplant, die seit einiger Zeit an einem Modell des Great Barrier Reef stricken.
"Stricken, Häkeln ist ja wieder schwer in Mode", sagt Museumsleiter Thorsten Sadowsky - und überlegt bereits, wie er die Föhrer Landfrauen in dieses Ausstellungsprojekt einbinden könnte.
Ging der kuratorische Blick des Museums anfangs erst einmal hinaus aufs Meer und weiter bis zum Horizont, soll in den nächsten Jahren das thematische Feld "Interieur" beackert werden, mithin die Welt der Innenwelten: "Die Friesenstube", sagt Sadowsky, "ist ja bei uns ein wichtiger sozialer Ort."
Die Formulierung "bei uns" ist von besonderer Bedeutung: Eigentlich hatte Sadowsky das Museum nur aufbauen wollen, es in Gang bringen, erste Ausstellungen ausrichten und weitere planen.
Damit sein Nachfolger etwas vorfinden würde, wenn er selbst schon wieder auf dem Weg nach Süddeutschland wäre. Aber er ist auf Föhr geblieben, ja hat hier Wurzeln geschlagen, und wie er so durch das Haus geht, wirkt das nicht so, als würde er das bereuen.
Da habe "der Paulsen uns Föhrern was Anständiges hinterlassen", hatte die Vermieterin gesagt. Die Gründungsgeschichte des Museums ist eng verbunden mit jenem Professor h. c. Frederik Paulsen, wie er sich am Ende seines Lebens nennen durfte: Friedrich Paulsen, geboren 1909 in Dagebüll, studierte in Kiel Medizin und hoffte 1933 vergeblich auf Gegenwehr gegen die Nazis.
Als er gegen die Ermordung eines Kieler Sozialdemokraten protestierte, kam er für 18 Monate in Haft. Kaum wieder frei, emigrierte er über die Schweiz nach Schweden, wo er ein heute weltweit agierendes Pharmaunternehmen gründete, dessen Gewinne er immer wieder in Kunst und Kultur investierte.
Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg nahm Paulsen Verbindung nach Föhr auf. Er sorgte sich um den Fortbestand der friesischen Sprache - und gründete das Nordfriesische Institut. Sein Vermögen überführte er in eine Stiftung, die nun das Museum trägt.
Dessen Eröffnung hat Paulsen nicht mehr erlebt: Er starb 1997 in seinem Haus auf Föhr. Aber er hat ein Museum auf den Weg gebracht, das zunehmend auch jene beachten, die ihre Dachgeschosse an erholungswillige Großstädter vermieten: Jetzt will sie aber mal weitermachen, die Vermieterin, als Bäuerin. Ist um kurz nach sechs aufgestanden, wie jeden Tag. So ist das hier.
Museum Kunst der Westküste, Hauptstr. 1, Alkersum/Föhr; www.mkdw.de
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