Kunsthistorische Datenbank: Reizwort Restitution
100 Jahre nach Gründung seiner Galerie in Düsseldorf rekonstruiert die Datenbank alfredflechtheim.com das Netzwerk des legendären Kunsthändlers.
Paradiesvogel, gesellschaftlicher Trendsetter, Ausstellungsmacher und Verleger: Der Kunsthändler Alfred Flechtheim hat in den 1920er-Jahren das bis heute angesagte Bild des kongenialen Galeristen geprägt. Er lebte mit und unter den Künstlern und war aufgrund seiner zahllosen Aktivitäten nicht selten knapp bei Kasse.
Unter alfredflechtheim.com ist das und einiges mehr nachzulesen. Deutlich werden soll aber vor allem die Bedeutung des außergewöhnlichen Kunsthändlers als Berater der deutschen Museen in Sachen Moderne. 15 Institutionen haben bei diesem Projekt zusammengearbeitet und die Geschichte jener Werke, die durch Flechtheims Hände gegangen sind, minutiös aufgearbeitet. Bislang sind 324 Bilder und Skulpturen erfasst, doch ist die Datenbank auf Zuwachs konzipiert.
Was aussieht wie ein publikumstauglich umgesetztes Forschungsprojekt ist auch eine eindrucksvolle Demonstration der Museen, dass sie ihre Hausaufgaben erledigt haben. Das Reizwort heißt Restitution, gemeint ist die Rückgabe jener Werke, die vor den perfiden Enteignungsmaßnahmen der Nationalsozialisten in jüdischem Besitz waren.
Seit der Washingtoner Erklärung von 1998 existiert eine Empfehlung des Bundeskulturministers, in deutschen Museen die Provenienz der Werke, also ihre Herkunft, zu erforschen. 2008 wurde die Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Berlin gegründet, Gelder zur Verfügung gestellt, damit die Museen ihrer Aufgabe nachkommen können. Aus dem Netzwerk der ProvenienzforscherInnen ist die Online-Datenbank zu Alfred Flechtheim erwachsen. Und da meist der Verlust von wertvollen Gemälden auf dem Spiel steht, mangelt es auch nicht an Motivation.
Doch geht es um mehr als nur um akribische Recherchen und das große Geld. Die stets mit im Raum stehende Schuld der Deutschen an der Verfolgung und Ermordung der Juden macht hellhörig für Kritik. Etwa für Michael R. Hultons Einwände gegen das ehrgeizige Projekt. Kein Zeitungsbericht zu der konzertierten Aktion der Museen ließ die Position des Flechtheim-Erben außer Acht. Im Gegenteil: Manch eine Redaktion hätte es womöglich bei einer knappen Agentur-Meldung zur Datenbank belassen, wenn der Begriff Restitution sich nicht in den Vordergrund geschoben hätte.
Bereits kurz vor der Freischaltung am 9. Oktober hatte die FAZ einen großen Bericht gedruckt, demzufolge die Datenbank nur „angeblich“ objektiv sei und die Hinterbliebenen Flechtheims nicht einbezogen worden seien. Doch es war Hulton, der einer Einladung zur öffentlichen Präsentation der Website nicht folgen wollte, um dann in einer Gegenveranstaltung um die Aufmerksamkeit der Medien zu konkurrieren.
Strittige Fragen
Hultons Anwalt Markus Stötzel beklagte vor Medienvertretern, dass es auf der Plattform keinerlei Hinweise auf strittige Fragen über die Herkunft mancher Bilder gäbe. Er bezog sich damit auf jene Werke von Paul Klee, Juan Gris und Max Beckmann aus der Bayerischen Staatsgemäldesammlung und den Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, für die er Restitutionsanfragen gestellt hat.
Ob und inwiefern die Ansprüche des Großneffen Flechtheims zu Recht bestehen, müssen weitere Recherchen klären. Mehr als deutlich ist aber, das es sich kein Museum mehr leisten kann, berechtigte Restitutionsansprüche zurückzuweisen. In vielen Fällen lässt sich aber nicht mehr sagen, ob Flechtheim zum Zeitpunkt des verfolgungsbedingten Verkaufs oder der Beschlagnahme eines bestimmten Bildes überhaupt dessen Besitzer war. Die Datenbank gibt Einblick in das Dickicht der Geschäftsbeziehungen zwischen den Händlern untereinander, sowie zwischen dem Galeristen und seinen Künstlern.
Im Fall von Max Beckmann, der auch mit Israel Ber Neumann aus New York und Günther Franke in München zusammengearbeitet hat, ist beispielsweise sicher, dass er 1931 die Zusammenarbeit mit Alfred Flechtheim beendet hat.
Durch die Kontroverse sind die ambitionierten Aktionen der beteiligten Museen aus dem Blick geraten. In Hamburg, Bremen, Münster, Dortmund, Hannover, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Karlsruhe, Stuttgart, München und Zürich sind die in der Datenbank erfassten Werke auch analog zu sehen.
Recherche in Berlins Museen
Dass Berlin, Flechtheims wichtigste Bühne, nicht dabei ist, mag verwundern. Doch auch bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) sind offenbar Restitutionsanfragen eingegangen. Offizielle Politik des Hauses ist, sich bei laufenden Verhandlungen nicht zu äußern. Bekannt ist, dass seit 2010 zwei Wissenschaftlerinnen im Zentralarchiv der SPK die Herkunft der bis 1945 entstandenen Bilder und Skulpturen erforschen, die heute als Dauerleihgabe des Landes Berlin von der Stiftung verwahrt werden. Im Frühjahr 2014 soll eine Publikation zu der nach dem Kriege zusammengetragenen „Galerie des 20. Jahrhunderts“ erscheinen. Rein theoretisch könnten dann die vorliegenden Erkenntnisse in die Datenbank alfredflechtheim.com eingearbeitet werden.
Zuvor aber werden wohl noch einige restituierte Meisterwerke auf den Titelseiten der Feuilletons landen. Als symbolische Wiedergutmachung begangenen Unrechts werden sie den Deutschen erneut den Spiegel der Geschichte vorhalten. In den Grundsätzen der Washingtoner Erklärung wird angemahnt, bei unklarer Sachlage eine „faire und gerechte Lösung“ zu finden. Einen rechtlichen Anspruch gibt es nicht. Bei ungeklärter Sachlage kann die prominent besetzte Limbach-Kommission vermitteln.
„Wir sind an unsere Grenzen gekommen“, resümiert der Leiter der Arbeitsstelle für Provenienzforschung Uwe Hartmann. Es bleibe eine Recherchelücke, solange das Kahnweiler-Archiv nicht geöffnet werde und die Nachfahren von Alex Vömel dabei blieben, dass alle geschäftlichen Unterlagen im Krieg zerstört worden seien. Vömel hatte 1933 die Düsseldorfer Dependance von Flechtheim übernommen, die er bereits seit Jahren als Geschäftsführer geleitet hatte.
Hartmann bringt das Gespräch auf Flechtheims Frau Betti. Sie verwahrte die Privatsammlung und blieb sogar noch nach dem Tode ihres Mannes 1937 in Berlin. Erst kurz vor der drohenden Deportation 1941 nahm sie sich das Leben. Hartmanns Fazit: „Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass die Fragen nach dem Verbleib von Kunstwerken nach 1933 nicht von den Fragen nach dem Schicksal der Opfer der Verfolgung zu trennen sind.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland