Kunsthallen-Chef Grunenberg über Museumsarbeit: „Mir geht’s um das Erlebnis“
Dem viel verachteten Friedensreich Hundertwasser hatte Christoph Grunenberg seine erste große Ausstellung als Chef der Bremer Kunsthalle gewidmet – die nächste zeigt Wols, den großen Verkannten.
taz: Herr Grunenberg, sind Sie gerne in Bremen?
Christoph Grunenberg: Aber ja. Ich glaube, es wäre auch nicht gut, ein Museum in einer Stadt zu leiten, in der man sich nicht wohlfühlt. Man muss vernetzt sein, die Leute kennen lernen, die Stadt, wie sie sich anfühlt…
Wie fühlt sich Bremen an?
Schon ganz eigen. Also: Ich komme ursprünglich aus Frankfurt am Main, und dass der Unterschied so frappant ist, hätte ich nicht erwartet. Als Stadt ist Bremen jedenfalls erstaunlich angenehm, so kompakt und trotzdem eine vollständige Großstadt.
Und was bedeutet das für die Museumsarbeit?
Das ist natürlich eine interessante Herausforderung – weil man sich fragen muss, wie sich das Museum in einer Stadt nach einem gerade vollendeten Anbau weiterentwickeln lässt. Welche Rolle spielt das Museum in Bremen und für das Image der Stadt? Wie kann man die Institution Museum neu erfinden und relevant bleiben? Das Schwierigste ist dabei natürlich, die Sammlung auszubauen, insbesondere durch die Preisexplosion am Kunstmarkt.
Sie müssen die guten Sachen vor dem Hype entdecken…
Aber das kann nur gelingen, wenn man entsprechend breit einkauft: Auf diese eine Künstlerin oder diesen einen Künstler zu setzen – das wäre zu gefährlich.
50, ist seit einem Jahr Direktor der Bremer Kunsthalle. Der Kunsthistoriker, der am Courtauld-Institute London mit einer Arbeit über die "Frühzeit des modernen Museums und das Ausstellungswesen im New York der 1930er-Jahre" promovierte, war zuvor unter anderem in Boston und zuletzt an der Liverpool-Tate tätig, wo er durch die große Mike Kelley-Ausstellung "The Uncanny" (2004) oder durch "Summer of Love" (2005) auffiel, die erstmals einen Überblick über die psychedelische Kunst der 1960er Jahre ermöglichte. Im Jahr 2007 war Grunenberg Vorsitzender der Turner-Prize Jury. In Bremen hat er zuletzt mit der Ausstellung "Gegen den Strich" Friedensreich Hundertwassers zwischen 1949 und 1970 entstandenes Werk neu erschlossen.
Dabei sind Museen auch Teil dieses Hypes, weil sie kaufen, bevor die KünstlerInnen durchgesetzt sind – und setzen durch den Erwerb ein Signal der Wertbeständigkeit…
Die Macht der Museen darf man an dieser Stelle nicht überschätzen. Wenn wir etwas ankaufen, hat das weniger Bedeutung als noch vor etwa 30 Jahren: Die Privatsammler und die kommerziellen Galerien sind mittlerweile oft einflussreicher.
Die verkaufen allerdings auch immer wieder Werke. Für Museen ist das bislang ein Tabu: Bleibt’s dabei?
Ich denke doch. Natürlich könnte man sagen: Wir haben die Keller voller Sachen, die wir ohnehin nie zeigen werden, die sollten wir vielleicht verkaufen.
Wols wurde 1913 in Berlin als Alfred Otto Wolfgang Schulze geboren. Sein Künstlername bildet sich aus den ersten Buchstaben von Wolfgang Schulze.
Er war Fotograf, Maler und Grafiker und gilt als Hauptbegründer und Wegbereiter des Tachismus.
1932 emigrierte er nach Paris. Zunächst staatenlos und ohne Papiere, macht er sich ab 1936 als Fotograf einen Namen. Zwischen 1939 und 1945 war Wols auf der Flucht und wurde mehrfach interniert. Ab 1945 stellte er seine Bilder in Paris, Mailand und New York aus.
1951 starb Wols an einer Lebensmittelvergiftung in Paris.
Aber?
Einerseits wären das wohl ohnehin nicht besonders wertvolle Arbeiten – und die zu verkaufen, würde sich finanziell nicht lohnen. Andererseits: Was im Museum gelandet ist, sollte dort bleiben. Wir haben eine Verantwortung, Kunst zu bewahren und zu pflegen, unabhängig von ihrem Geldwert – teilweise sogar von ihrem kunsthistorischen Wert. Geschmacksveränderungen lassen sich nicht voraussagen.
Welcher Wert ist denn in der Kunst der faszinierendere?
Das kann man sich schon fragen: Bei den Millionensummen, die auf dem Kunstmarkt bewegt werden, geht es um die Selbstdarstellung von Reichtum, um Glamour – das hat eine eigene Faszination. Aber die sinnliche Präsenz des Originals hat für mich eine davon unabhängige, eigene Attraktivität.
Wichtig für ein Museum.
Ja. Menschen kommen ins Museum, um Originalen zu begegnen. Wobei das genau die andere große Herausforderung ist: Sich der Frage zu stellen, wie junge Leute Kunst wahrnehmen. Das verändert sich gerade, und zwar rapide. Dem dürfen sich Museen nicht verschließen.
Es sei denn, man gibt das Museum als Prinzip auf?
Ein paar radikale Denker sagen: Museen sind schon obsolet. Das findet künftig alles nur noch im digitalen Universum statt. Aber das halte ich für falsch. Auch neuesten Kunstentwicklungen haben noch eine physische, visuelle Manifestation.
Wo liegen dabei Ihre persönlichen Leidenschaften?
Mir geht es schon um das Erlebnis.
Also wie schon mit der Hundertwasser-Schau: Kunst mit sehr viel Farbe?
Nicht unbedingt. Das Erlebnis kann spektakulär sein oder auch sehr spröde. Ich glaube, man muss immer versuchen, mit dem Publikum zu sprechen.
Wie jetzt – sprechen?
Das heißt zum Beispiel, durch eine besondere Installation von Werken zu kommunizieren. Bekanntes neu zu inszenieren. Oder auch ein Publikum mit banaler Schönheit anzusprechen.
Banale Schönheit?
Das heißt nicht, dass die Sachen oberflächlich wären. Man könnte auch Warhol für banal halten, oder sagen: Matisse ist banale Schönheit, schließlich fordert der ja Einfalt des Geistes vom Maler…
… oder Hundertwasser. Waren Sie denn zufrieden mit der Resonanz?
Aber ja! Wobei: Ich wusste zwar, dass Hundertwasser ein belasteter Name ist. Aber wie weit das geht, wie tief da die Vorurteile sitzen, das hat mich überrascht.
Die Ausstellung fand ich überzeugend – hatte aber erst fast Angst davor, weil mir das Oeuvre teilweise zu aufdringlich scheint…
Das ist es ja auch! Da gibt es ein Problem in seinem Werk, das lässt sich nicht verneinen. Und das hätten wir auch gar nicht gewollt. Aber es besteht nicht nur daraus. Und diese unbekannte, verdeckte Seite zu zeigen, das ist letztlich doch sehr gut angekommen. Und ich denke, da haben wir auch einen Bewusstseinswandel angestoßen. Viel mehr kann eine Ausstellung ja nicht leisten. Und trotz kurzer Vorbereitungszeit und knappem Marketingbudget sind 140.000 BesucherInnen gekommen.
Das klingt aber wenig, verglichen mit den früheren Bremer Großausstellungen.
Ist es aber nicht. Wir hatten sogar mit geringerem Zuspruch gerechnet. Die großen Ausstellungen hier, Monet, Munch, van Gogh – das waren alles Klassiker der Moderne. Und Hundertwasser ist ein Künstler der Nachkriegszeit, der vor etwas mehr als zehn Jahren gestorben ist. Das ist eine andere Kategorie.
Genau wie Wols, den Sie als nächstes zeigen – und den wirklich nur ein paar Eingeweihte kennen. Ist das programmatisch, dass Sie auf Kunst seit dem Zweiten Weltkrieg setzen?
Ja und nein: Ich finde die Abfolge jetzt auch interessant. Was wir ja gerade demonstriert haben war, dass für Hundertwasser die Zeit in Paris, die Begegnung mit dem Informel absolut prägend war…
… also der aus der Geste entwickelten Malweise, zu deren Hauptvertretern Wols zählt.
Im Grunde reizt mich, herauszufinden, ob sich die beiden dort nicht getroffen haben. Wo Sie Recht haben: Beim Ausstellungsmachen geht es auch um die Frage: Wo kann man heute noch Entdeckungen machen, wo findet man die großen Unbekannten?
Klar – nach 1945…
Wobei Hundertwasser natürlich eher zu bekannt ist – aber eben auch nur ein Teil des Werks, der alles andere überlagert: Insofern ließ sich bei ihm etwas entdecken. Und Wols ist ein echter Unbekannter. Das ist erstaunlich: Er spielt ja ohne Frage eine wichtige Rolle in der Kunstgeschichte, seine Werke sind intensiv, brutal…
… und selbstzerstörerisch?
Auf jeden Fall. Wobei wir versuchen, vom biografischen Zugang dort ein wenig wegzukommen. Aber – er ist ja nicht mal 40 Jahre alt geworden – man kann dieses Kriegserlebnis, die Internierung, die materielle Not, die Alkoholsucht, all das auch nicht vollkommen ignorieren. Da ist etwas Existentialistisches drin.
Sie meinen impulsiv?
Die Werke sind nicht in irgendeiner Rage geschaffen, das nicht. Sie sind total bewusst gestaltet. Man sollte ihn deshalb aber nicht auf einen Verzweiflungskünstler reduzieren. Dazu war er viel zu intelligent. Die Arbeiten haben aber etwas sehr Direktes, sehr Physisches. Ich glaube, das wird schon eine große Überraschung, diesen Künstler mal wieder nach 25 Jahren so konzentriert mit so vielen Arbeiten zu sehen.
Dass Wols in Vergessenheit geraten konnte, versteht ja keiner, der ihn kennt; gleichzeitig ist das so etwas wie ein Kollektivschicksal der Informel-Künstler. Spielt da auch Verdrängung eine Rolle?
Da ist sicher was dran. Allerdings hat das Informel bei einigen schnell etwas sehr Gefälliges, Theatralisches bekommen: Da scheint oft der Zeitgeist durch, das schreit 50er-Jahre – und damit hängt dieses gewisse Vergessen der gesamten Generation zusammen.
Aber Kleinmeister gibt’s in jeder Stilrichtung. Und Wols war ja ausdrücklich keiner…
Das stimmt: Es ist schon erstaunlich, zu sehen, nicht nur wie viele völlig unbekannte Namen es dabei gibt, sondern auch, wie viele der Werke man jetzt allmählich wieder anschauen kann: Die Aufarbeitung findet langsam wirklich statt. Es war teilweise zu unbequem, teilweise zu dekorativ – und wenn man die Formate und die Intensität der amerikanischen Maler dagegen betrachtet, die damals aufkamen, dann verliert das Informel meist.
Ihr Vorgänger hatte für seine großen Ausstellungen immer ein Werk der Sammlung als Ausgangspunkt gewählt. Das fassen Sie anders.
Nach der Methode wären uns über kurz oder lang auch die Meisterwerke ausgegangen. Aber es stimmt: Hundertwasser war sicher ein bewusster Versuch, etwas zu nehmen, was in der Sammlung keine Rolle spielt.
Und Wols hat gar keinen Bezug zur Bremer Kunsthalle…
Der fehlt in der Sammlung. Aber immerhin gibt es einen Bezug zu Bremen, zur Hollweg-Stiftung, die eine der besten Wols-Sammlungen der Welt beherbergt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!