Kunst zum Ausschneiden: "Ich bin der Doktor Merz" - lo sono il dottor Merz
■ Ein Skulpturen-Rundgang durch die Weserburg in 13 Stationen (5)
„Ich heile und erfinde Heilmittel / wie der Alte, der zur Eigenkur / die Katze malt, die durch die Wiese läuft / Ich werde ins Leben zurückkehren als ein Schwein / Ich bin zwar noch weit zurück als mein eigener Doktor / aber ich befinde mich auf dem Weg der Heilung...“
verkündet der italienische Arte-Povera-Künstler Mario Merz. Seine Gedichte sind ein Sesam-öffne- dich in die Welt seiner bildnerischen Werke, die sich auf dem halben Weg zwischen Bild und Skulptur bewegen. Merz spricht auch von Bild/Skulptur.
„Gambe che corrono“ (Laufende Beine) heißt seine Arbeit in der Weserburg. Auf einer 7m langen, ungrundierten Leinwand schwebt ein Fries von 10 laufenden Beinen. Die Umrisse sind mit Kohle flüchtig skizziert und locker mit roter und blaugrauer Farbe besprüht. Die Technik des Sprayauftrags vermittelt die Schnelligkeit, mit der sich die Beine von rechts nach links bewegen und betont die luftige Konsistenz der Oberfläche. Die Leinwand hängt lose ohne Keilrahmen von der Decke und wird an beiden Seiten von Reisigbündeln flankiert. Zu Zahlen geformte Neonröhren durchstoßen die Malfläche in der Progression der Fibonacci-Reihe. Der italienische Mathematiker Leonardo Pisano oder L. Fibonacci verfaßte um 1202 eine Einführung in das indisch-arabische Zahlensystem. Mario Merz hat eine in dieser Zahlenreihe verborgene Sequenz entdeckt, die sich aus der Addition der jeweils vorangegangenen Zahl ergibt: 1+1=2 2+1=3 3+2=5 usw, folglich:1-1-2-3-5-8-13-21-34-55 usw.
Für Fibonacci lag die Bedeutung dieser Progression nicht nur im rein Mathematischen, er wollte dadurch eine Fortpflanzungsgeschwindigkeit ausdrücken. Für Merz visualisiert die Reihung die Elemente, die in der Natur ineinander übergehen und in Umwandlung begriffen sind. Auch seine Arbeiten sind keine festen Konstruktionen; Neon wird durch die Glasröhre sichtbar, diese durchstößt die Leinwand, wodurch ein Element auf ein anderes übertragen wird. Die Reisigbündel sollen unseren Alltag versinnbildlichen und die Natur einbeziehen. Merz bezeichnet sie als Personen, Menschenansammlung und Erscheinungen, auch als vertrocknete und übereinandergestapelte Wälder mit zornigen Schatten, gleichzeitig als etwas Lebendiges und etwas Totes.
Die „armen Materialien“ erheben keinen Ewigkeitsanspruch und verweisen auf die Vergänglichkeit des Lebens. Kunst ist für Mario Merz Schwebezustand und die Auswirkung der Übergänge. „Die Katze, die durch den blühenden Garten läuft, ist der Doktor.“ Grazie Mario! Christine Breyhan
hierhin
das Foto
von den
Reisigbündeln
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