Kunst und Medienwelt: Lasst alle Hoffnung fahren!
Der Fluss der Daten wäre nicht möglich ohne ressourcenfressende Maschinen. Davon erzählt auch die Transmediale-Ausstellung in Berlin.
Irland hat in der Geschichte der globalen Telekommunikation eine wichtige, doch wenig bekannte Rolle gespielt. Im Jahr 1858 wurde das erste transatlantische Telekommunikationskabel von Valentia Island, einer dünn besiedelten Insel vor der Küste des Landes, nach Neufundland gelegt. Und plötzlich verbreiteten sich Nachrichten aus Irland schneller in Nordamerika als im benachbarten Großbritannien. Aus der kleinen Insel, auf der zuvor nur Landwirtschaft betrieben wurde, war über Nacht ein Knoten in einem rasant wachsenden Netz aus Leitungen und Verbindungen geworden, welche die reale Geografie um ein unsichtbares Terrain aus Signalen und Daten erweiterte und das kleine Eiland mit dem globalen Informationsraum verschränkte.
Wenn wir uns heute per Computer oder Smartphone an diesen globalen Informationsraum anschließen, mag uns vielleicht noch auffallen, dass dieser viel von dem utopischen Glanz verloren hat, der ihn beim Aufkommen der globalen Telegrafie oder später des Internet illuminierte. Aber dass da nach wie vor diese Unterseekabel und diese ganze andere sperrige Technologie sind, die den ganzen Datenfluss am Laufen halten, daran denken wir nie.
Die Installation „Entangled“ von der irischen Künstlergruppe Annex erinnert uns genau an diese Verstrickung von physischer Hardware und virtueller Realität. Ein Serverrack wie die, die normalerweise die Tausende von Computern in einem Internet-Rechenzentrum beinhalten, ist hier wie ein großer Scheiterhaufen aufgebaut.
Der gemahnt auch daran, dass Irland dank seines kühlen Klimas ein bevorzugter Standort für genau die Art von Rechenzentren geworden ist, ohne die die globale Dateninfrastruktur der Gegenwart nicht denkbar wäre: 2019 hat Dublin London als Rechenzentrumshauptstadt Europas abgelöst; diese Rechenzentren sollen bis zum Jahr 2027 31 Prozent des gesamten irischen Strombedarfs verbrauchen – der größte Teil davon erzeugt aus fossilen Brennstoffen.
„transmediale 2021–22: abandon all hope ye who enter here“ bis zum 18. 2. in der Akademie der Künste (Standort Hanseatenweg) in Berlin. Livestreaming der Onlinekonferenz an diesem Wochenende unter www.transmediale.de/de/livestream
Entsprechend sind in der riesigen Installation zwischen den Monitoren, die schnell wechselnde Luftaufnahmen und Computerprosa zeigen, Kohlebecken installiert. Der Fluss der Daten und die glatten Oberflächen des Netzes wären nicht möglich ohne ressourcenfressende Maschinen, die mit einer Energiequelle aus der Zeit der industriellen Revolution angetrieben werden.
Das düster pochende Herz
Die Installation, die 2021 schon auf der Biennale in Venedig zu sehen war, ist das düster pochende Herz der Ausstellung der diesjährigen Transmediale, dem Berliner Festival für Medienkunst und -kultur, das diesmal in der alten Akademie der Künste im Tiergarten stattfindet.
Die Transmediale präsentiert auch sonst keinen freundlichen Rundblick in die Medienwelt, wie schon der Titel „abandon all hope ye who enter here“ vermuten lässt. Wenn man wie die armen Seelen in Dantes Inferno alle Hoffnung hat fahren lassen, findet man sich in einem Ausstellungslabyrinth wieder, in dem man sich selbst dann kaum zurechtfindet, wenn man mit der alten Akademie der Künste gut vertraut ist.
Gleich neben „Entangled“ ist ein weiterer Haufen von Technikschrott zu sehen, den das Künstlerkollektiv Lo-Def Film Factory aus Südafrika aufgehäuft hat, um daran zu erinnern, dass viele der Geräte, mit denen wir uns umgeben, über kurz oder lang in Afrika landen. Eingebunden ist der Schrotthaufen in eine komplexe Installation mit drei Animationen und einer Virtual-Reality-Komponente, die sich mit dem Uran für die erste Atombombe beschäftigt, das aus dem damaligen Belgisch-Kongo kam. Aus Archivmaterial und Interviews mit Zeugen haben Amy Louise Wilson und Francoise Knoetze eine komplexe Arbeit collagiert, bei der selbst der VR-Teil einmal sehenswert ist.
Archive des Krieges
Ebenfalls mit Archivmaterial arbeitet die libanesische Künstlerin Alaa Mansour, die in ihrem Video „The Mad Man’s Laughter“ Material aus der Library of Congress, dem US-Nationalarchiv, vom Bilderdienst des Verteidigungsministeriums und aus dem Deep Web zu einer bedrückenden Folge von Kriegsbildern und Material aus Computerspielen zusammengesetzt hat.
Diese Arbeiten wie auch die raumfüllende Installation „Remaining Threads“ von Ibiye Camp aus Sierre Leone eröffnen der Transmediale den globalen Süden, der in vorangegangenen Präsentationen der Medienkunstveranstaltung oft keine Rolle spielte.
Als Kuratorin Nora O Murchú vor anderthalb Jahren die Leitung der Transmediale übernahm, wollte sie diese aus der Routine des Betriebs befreien und statt einer Großveranstaltung ein Festival machen, das das ganze Jahr lief. Auch als Reaktion auf die Einschränkungen, die Corona für Kulturveranstaltungen bedeutete, gab es Freiluftkino, gestreamte Vorträge, die Onlinepublikation „Almanac“ und ein Residency-Programm. Doch auch wenn der Ausstellungsraum der Transmediale im Silent Green im Wedding weiterhin ganzjährig für Veranstaltungen und Ausstellungen genutzt werden soll, wird die Transmediale selbst im kommenden Jahr wieder wie gewohnt als mehrtägiges Festival mit Ausstellung in Februar abgehalten.
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