piwik no script img

Kunst und LebenEssen mitder Kunst

Hamburger Kunsträume

von Hajo Schiff

Die Realität ist unzuverlässig. Gerüchte herrschen. Man muss auf schreckliche Ereignisse reagieren, die sich als nie geschehen herausstellen. In der Kunst wäre das nicht verwunderlich. Aber es manifestiert sich neuerdings in dem, was vor den mannigfaltigen medialen Brechungen mal das wirkliche Leben war.

Kunst hat stets den großen Anspruch, Wahrheiten ebenso zu suchen wie zu brechen. Von künstlerischer Tätigkeit wird gesagt, dass sie den individuellen und gesellschaftlichen Handlungsspielraum erweitere. Aber was ist davon noch zu halten, wenn die Wirtschaft künstlerisch-kreative Vorgehensweisen zu vorbildhafter Norm erklärt, wenn Fiktionalisierungen in Politik und Geschäft alltäglich sind und extreme Setzungen scheinbar unbeirrt verfolgt werden?

Einst produktive Obsessionen genialischer Individuen verlieren an Faszination, wenn zahlreiche Ausblühungen des Wahnsinns ganz alltäglich die Gesellschaft zerstören. Gerade weit von jeder Dekoration entfernte Positionen agieren oft mit Selbstermächtigungen, deren konsequente Verfolgung außerhalb des Kunstbereichs geradezu grausam wäre. Die oft geforderte Einheit von Kunst und Leben ist eine äußerst schwierige Hochzeit – wird aber gern angestrebt.

Da ist beispielsweise die in Hamburg lebende Schweizer Künstlerin Jennifer Bennett. Ihr reicht es nicht, in der Galerie Dorothea Schlueter (Große Bäckerstraße 4) auszustellen – sie macht diese zu ihrer Wohnung. Und sie nutzt zudem die Atmosphäre eines Restaurants. Aber nicht im Sinne der alten Boheme, sondern um zum Mittagessen das Gespräch mit Gästen zu suchen.

Vielleicht bedarf es wirklich nicht nur der Artefakte und Ideen, nicht nur mehr oder weniger „neuer“ Positionen oder schnell medial angelieferter Vorstellungen, sondern vielmehr der Personen, die präsent und leibhaftig für etwas eintreten. Und zwar nicht in irgendeiner internen Clique, nicht hinter den Kulissen des Kunstbetriebs oder in den Texten weltfremder Seminare. Sondern zugänglich für potenziell jedermann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen