Kunst im öffentlichen Raum: Von Blechen und Menschen
Auf dem Kirchvorplatz in Hamburg-St. Georg interagieren rostende Schiffsbleche und eine mittelalterliche Kreuzigungsskulptur. Eine Ortsbegehung.
Das soll man auch, soll Tuchfühlung aufnehmen mit dem, was der 1999 verstorbene Künstler Horst Hellinger 1986 inszenierte: ein Mahnmal für den Niedergang der Werftindustrie. Bleche aus abgewrackten Schiffen hat er verarbeitet, so nutzlos geworden wie die zugehörigen Werktätigen. Da stehen sie nun, vom Künstler unvergesslich, fast unvergänglich gemacht: Samt Betonsockel hat Hellinger sie einen Meter tief im Boden verankert; so schnell kriegt man die nicht wieder weg aus dem längst gentrifizierten Viertel hinter dem Hauptbahnhof.
Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) hat 2004 mal versucht, die Bleche in den Hafen zu versetzen, wollte lieber mehr Cafés auf dem Platz. Er hat es nicht geschafft. Hellingers Nachlassverwalter drohte mit Klage, auch der Pastor war dagegen, und heute redet keiner mehr davon. Zumal die Installation neue Aktualität bekam in Zeiten des gesundheits- und umweltschädlichen Abwrackens ausgemusterter Schiffe im Globalen Süden. Ganz zu schweigen davon, dass Schiffswrackteile an ganz real ertrinkende Menschen denken lassen, nicht nur im Mittelmeer.
Außerdem haben die Bleche 2004 interessante Gesellschaft bekommen: Wenige Meter daneben, vor dem Eingang der im Zweiten Weltkrieg zerstörten, ab 1954 neu errichteten Backsteinkirche steht die Kopie einer bronzenen „Kreuzigungsgruppe“ aus dem Mittelalter: der gekreuzigte Jesus, darunter, trauernd, Mutter Maria und Jünger Johannes, dazu zwei ebenfalls gekreuzigte Verbrecher.
Endpunkt des Kreuzwegs christlicher Wallfahrer
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Sie stehen auf schmalen Steinsockeln, überragen Mensch und Blech: Die 1490 geschaffene Gruppe musste weithin sichtbar sein, denn sie war Endpunkt des Kreuzwegs christlicher Wallfahrer, der vom Dom in der Innenstadt hierher nach St. Georg führte.
Der Zielpunkt war klug gewählt: Die Kirche gehörte zum einstigen Leprahospital, 1194 gestiftet vom Kreuzritter Graf Adolf III. von Schauenberg und Holstein zum Zeichen seiner „christlichen Bußfertigkeit“, genauer: aus schlechtem Gewissen – weil Kreuzritter die Lepra aus dem Orient eingeschleppt hatten. Da sie als unheilbar und sehr ansteckend galt, durften daran Erkrankte St. Georg nicht verlassen und mussten Almosen erbetteln, mit Schellenringen an den deformierten Händen. Angemessen also, eine dem Leiden des „Gottessohns“ gewidmete Prozession bei den irdisch Leidenden enden zu lassen.
Überraschend allerdings, dass die Skulptur noch existiert: Die in St. Georg stationierten französischen Besatzungstruppen des 19. Jahrhunderts hätten die Bronze sicher gern für Waffen eingeschmolzen. Aber die St. Georger strichen die Figuren bunt, sodass sie aussahen wie aus Stein. Und 1938 brachte man die Skulpturen in einem Bunker unter.
Nach Kriegsende gab es allerdings Streit darüber, ob das wertvolle Kunstwerk der Kirche oder der Stadt gehörte. Ein Gericht entschied: der Stadt, weil die Figuren vor der Kirche auf städtischem Grund gestanden hatten. Trotzdem gab man das Kunstwerk der Kirche zurück, die es restaurierte und das Original in die Turmkapelle stellte. Auf den Vorplatz platzierte man eine Kopie, ergänzt um Details, die beim Original verloren gingen: Die Teufelskralle auf dem Kopf des „bösen“ Mitgekreuzigten, der Jesus verhöhnt hatte, ist deutlich zu sehen – als Gegenstück zum Engel über dem Haupt des „guten“, reumütigen Verbrechers. Die Idee dahinter: Reue noch in der letzten Lebenssekunde führt ins Paradies.
Und auch wenn das Prozessionsgeschehen nachlässt und die Angst vorm Fegefeuer schwindet – die Faszination Kreuzigungsgruppe bleibt: Alljährlich an Karfreitag ereignet sich dort die bundesweit einzige ökumenische und interreligiöse Kreuzwegandacht. Da versammeln sich Gläubige aus beiden christlichen Gemeinden sowie der Centrum-Moschee zum gemeinsamen Gebet – die MuslimInnen stoßen nach ihrem regulären Freitagsgebet dazu. Theologische Probleme gebe es nicht, sagt Ahmed Yazici von der Moscheegemeinde: Es sei ja ein Gebet und kein gemeinsames Ritual. Sensible Grenzen würden also nicht überschritten.
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